Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Oktober 2008

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Er kam aus dem Norden: Der Papageitaucher von Düsseldorf


Von Peter Herkenrath

Im Herbst 1996 bekam ich einen spannenden Anruf: Dr. Ulrich Schürer, Direktor des Wuppertaler Zoologischen Gartens, mit dem ich als Artenschutzreferent des NABU damals beruflich regelmäßig zu tun hatte, teilt mir mit, sein Zoo sei im Besitz eines zuvor in Düsseldorf aufgegriffenen Papageitauchers Fratercula arctica. Ich wurde sofort hellhörig. Ein Papageitaucher in Nordrhein-Westfalen – kaum zu glauben!

Auf meine Bitte teilte er mir die Einzelheiten mit und hielt mich in den kommenden Monaten über das weitere Schicksal des Vogels auf dem Laufenden. Die Geschichte ließ sich nach Informationen von Herrn Schürer und Herrn Dr. Bosch vom Löbbeckemuseum/Aquazoo Düsseldorf wie folgt rekonstruieren: Der Vogel wurde in völlig entkräftetem Zustand am 14. September 1996 in Düsseldorf-Oberkassel in einer Tiefgarage in unmittelbarer Nähe des Rheins von einer nicht mehr ermittelbaren Person aufgegriffen und in den Aquazoo Düsseldorf gebracht.

Das Gefieder des Vogels im 1. Kalenderjahr war vollkommen in Ordnung. Er fraß gut, was auf das Fehlen einer Infektion o.ä. hinwies, und wurde am 16. September in den Zoologischen Garten Wuppertal gebracht. Obwohl er sich zunächst in der bergischen Luft gut erholt hatte, starb er am 28. April 1997 an Aspergillose, einer Schimmelpilzerkrankung vornehmlich der Atemwege (Bezzel & Prinzinger 1990). Am toten Vogel nahm Herr Dr. Schürer die folgenden Maße: Gewicht 280g, Flügellänge wegen Handschwingenmauser nur 105mm, Schnabellänge 39mm und Schnabelhöhe 20mm. Die Festellung wurde von der Seltenheitenkommission NRW und der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 1998).

Fotos

Anfang bis Mitte September 1996 gelangten auch andere Meeres- und Küstenvögel ins deutsche Binnenland. So wurde am  13.9. am Altmühlsee in Bayern und am 17.9. im Bremer Niedervieland je eine Schmarotzerraubmöwe Stercorarius parasiticus festgestellt; Falkenraubmöwen S. longicaudus gab es am 7.9. am Gülper See in Brandenburg sowie in Baden-Württemberg am 12.9. in Schwäbisch-Hall und vom 13. bis 15.9. an den Krauchenwieser Baggerseen im Kreis Sigmaringen (DSK 1998).

Für Nordrhein-Westfalen stellt der Düsseldorfer Vogel die einzige neuere Feststellung dar, die die Art in Kategorie A der Artenliste der Vögel unseres Bundeslandes befördert hat. Es liegen jedoch drei oder vier alte Nachweise vor, alle vom Rhein oder dessen unmittelbarer Umgebung (Mildenberger 1982, Neubaur 1957):
•    Im Winter 1844/45 wurde ein Vogel bei Emmerich erlegt.
•    Ebenda wurde am 12.1.1907 ein Exemplar geschossen; der Balg befindet sich im Bonner Museum Alexander König.
•    Auf dem Rhein bei Monheim wurde je ein Vogel am 3.2.1929 und am 2.3.1929 beobachtet; möglicherweise hat es sich um dasselbe Individuum gehandelt.

In Deutschland ist der Papageitaucher eine nach wie vor seltene Art, die außerhalb der Nordseeküste und besonders von Helgoland nur ausnahmsweise festgestellt wird. Bauer et al. (2005) und die Berichte des Bundesdeutschen Seltenheitenausschusses bzw. der Deutschen Seltenheitenkommission in der Zeitschrift Limicola geben die folgenden Nachweise für die Ostseeküste und das deutsche Binnenland an:
Mecklenburg-Vorpommern: 12 Nachweise mit 13 Individuen bis 1983, dazu kommt der Totfund eines Papageitauchers am 25.4.1999 in Zingst, Kreis Nordvorpommern; Sachsen-Anhalt: 29.1.1994 Grüner See bei Muldenstein, Kr. Bitterfeld;
Hessen: Februar 1870 und Januar 1982;
Baden-Württemberg: Juli 1841 sowie vor 1845;
Bayern: November 1890.

Ein weiterer Nachweis aus Hessen (Fotos!), aus den 1980er Jahren vom Reinhardswald bei Kassel, ist noch nicht anerkannt (Stübing, schriftl. Mitt.). Aus Rheinland-Pfalz liegt kein Nachweis vor (Lippok, schriftl. Mitt.). Auf Helgoland, wo sich bis 1830 mit 1-2 Paaren der einzige mitteleuropäische Brutplatz befand (Bauer et al. 2005), wird die Art alljährlich in geringer Anzahl, meist im Mai/Juni, beobachtet (Dierschke et al. 2007).

Der Papageitaucher ist ein Brutvogel des Nordatlantiks und des Nordpolarmeeres, wobei Europa mehr als 90% des auf 8 Millionen Paare geschätzten Brutbestandes beherbergt. In Westeuropa befinden sich Brutkolonien in Frankreich, Großbritannien und Irland. Zwischen 1970 und 1990  nahm die europäische Brutpopulation stark ab. Von 1990 bis 2000 wurden vorwiegend Zunahmen oder stabile Bestände registriert (BirdLife International 2004). In meiner Wahlheimat Großbritannien ist der Papageitaucher wie keine andere Art ein Publikumsmagnet der bedeutenden Vogelfelsen. Die britische Vogelschutzorganisation Royal Society for the Protection of Birds nutzt die Art sehr erfolgreich, um für den Seevogelschutz zu werben.

Es ist fraglich, wann mal wieder ein Papageitaucher nach Nordrhein-Westfalen verschlagen wird. Vermutlich werden das dann wieder eher traurige Umstände sein, die letztendlich mit dem Tod des Vogels enden. Und dass ein Birder mal einen lebenden (und sich in Freiheit befindlichen) Papageitaucher in Nordrhein-Westfalen zu sehen bekommt, scheint noch unwahrscheinlicher.


Danksagung:
Mein Dank gilt Herrn Dr. Schürer vom Zoologischen Garten Wuppertal für die Pflege des Papageitauchers sowie ihm und Herrn Dr. Bosch vom Löbbeckemuseum/Aquazoo Düsseldorf für die umfangreichen Informationen zu den Fundumständen und das weitere Schicksal des Vogels. Für Informationen zum Vorkommen des Papageitauchers in Hessen und Rheinland-Pfalz danken wir Stefan Stübing und Ewald Lippok.


Literatur:

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Band 1, Nonpasseriformes – Sperlingsvögel. Aula, Wiebelsheim.

Bezzel, E. & R. Priniznger (1990): Ornithologie. 2. Aufl. Ulmer, Stuttgart.

BirdLife International (2004): Birds in Europe: population estimates, trends and conservation status. BirdLife International, Cambridge, UK.

Deutsche Seltenheitenkommission (1998): Seltene Vogelarten in Deutschland 1996. Limicola 12: 161-227.

Dierschke, J., V. Dierschke, F. Jachmann & F. Stühmer (2007): Ornithologischer Jahresbericht 2006 für Helgoland. Ornithol. Jber. Helgoland 17: 1-89.

Kretzschmar, E. & S. Glinka (1997): 2. Ornithologischer Sammelbericht für Nordrhein-Westfalen. Charadrius 33: 140-150.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes. Band I. Gesellschaft Rheinischer Ornithologen, Düsseldorf.

Neubaur, F. (1957): Beiträge zur Vogelfauna der ehemaligen Rheinprovinz. Decheniana 110: 1-278.


Anschrift des Verfassers:
Peter Herkenrath
UNEP World Conservation Monitoring Centre
219 Huntingdon Road
Cambridge CB3 0PA
Großbritannien.