Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
November 2008

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Sie kamen aus dem Nichts – Die Kleinen Sumpfhühner von Münster



Von Holger Lauruschkus und Jan Ole Kriegs


Laut quakende Frösche, Teichrohrsänger, Kanadagänse, ein entfernt singender Rohrschwirl, etwas Wind im Schilf – doch da - war da nicht ein leises „pöök, pök, pök, pök, pök“ aus dem 21er? Die Mitglieder eines Münsteraner Birdrace-Teams spitzten die Ohren, als sie gegen 0.30 Uhr am 3.Mai 2008 in den Rieselfeldern Münster versuchten, die ersten Röhrichtarten auf ihre Tagesliste zu bekommen. Das klang doch fast wie ein weibliches Kleines Sumpfhuhn Porzana parva. Leider wurde die Stimme nur von zwei der vier Beobachter gehört und das auch nur leise. Zu leise für eine sichere Bestimmung.

Noch am selben Tag wurde dann tatsächlich noch eine Kleinralle in den Rieselfeldern beobachtet, allerdings ein Männchen! Belinda Och und Jochen Heimann suchten an Fläche 25 nach rastenden Watvögeln, als ihnen eine kleine Ralle auffiel, die sich entlang der Schilfstreifen bewegte. Sie bestimmten diese Ralle als männliche Kleines Sumpfhuhn. (Die Beobachtung wurde der Avifaunistischen Kommission der NWO gemeldet und anerkannt.)

Der Abend des 31. August 2008 war ein lauer Sommerabend, und Holger Lauruschkus (HL) hatte sich gezielt auf die Suche nach Rallen begeben. Tatsächlich, an einer für kleine Rallen wie gemachten schilfbestandenen Fläche im 21er-Komplex konnte er aus der Beobachtungshütte am gegenüberliegenden Schilfstreifen ein diesjähriges Kleines Sumpfhuhn bei der Nahrungssuche beobachten. HL konnte sein Glück kaum fassen, suchte er doch schon seit Jahren in den Rieselfeldern nach diesen seltenen Gästen. Endlich war es soweit. Das Kleine Sumpfhuhn ließ sich noch bis zur Dämmerung sehr schön beobachten. Die ersten informierten Ornis kamen schon an diesem Abend in den Genuss einer besonderen Vogelbeobachtung. Das sollte sich in den Folgetagen fortsetzen, denn die kleine Ralle blieb dankenswerter Weise auf ihrer Fläche und lockte so Beobachter von nah und fern. Aus Gelsenkirchen soll ein wahrer Rallen-Fan fast täglich angereist sein. Meistens früh morgens und abends präsentierte sich der seltene Gast den Beobachtern in aller Offenheit.

Foto 1

Am Abend des 4. September jedoch glänzte das junge Kleine Sumpfhuhn durch Abwesenheit. Unter den zahlreich angereisten Birdern machte sich Unruhe breit. Ist die Ralle etwa abgezogen? Während die Ornis, die den Vogel noch nicht gesehen hatten, an der alten Stelle verharrten, machten sich die „Entspannten“ (die mit dem Kleinen Sumpfhuhn „in der Tasche“) auf die Nachsuche an anderen Flächen. Auf der Rückseite der besagten Schilffläche entdeckte HL einen kleinen dunklen Rallenvogel, der sich sofort als Kleines Sumpfhuhn erwies, und zwar als ein adultes Männchen! Damit waren doch tatsächlich ein diesjähriges Individuum und ein adultes Männchen im Gebiet – und zwar in unmittelbarere Nähe voneinander! Dank HL konnten dann doch noch alle an diesem Abend angereisten Beobachter ein Kleines Sumpfhuhn erleben, nur eben eine andere. An den folgenden Tagen ließen sich zeitweilig beide Rallen gleichzeitig auf derselben Fläche bewundern. Die adulte Ralle wurde letztmalig am Nachmittag des 18.9. festgestellt, der Jungvogel am Abend des 19.9.2008 (www.msorni.de). Ob sich während der gesamten Brutzeit Kleine Sumpfhühner in den Rieselfeldern aufgehalten haben und ob sie gar gebrütet haben, kann nicht mehr geklärt werden. Die Häufung der Beobachtungen lässt jedoch Raum für Spekulationen.

Foto 2


Videoaufnahmen (Jan Ole Kriegs):

Für den Fall, dass es Probleme mit einem Video-Format geben sollte sind die Filmchen jeweils sowohl im mp4 als auch im avi Format zur verfügung gestellt.

Diesjähriges Kleines Sumpfhuhn
Aufnahme 1:




MP4 (1,4 mb)

AVI (5 mb)


Diesjähriges Kleines Sumpfhuhn
Aufnahme 2:


MP4 (1,4 mb)

AVI (5,1 mb)

Adultes Kleines Sumpfhuhn
Aufnahme 1:




MP4 (0,5 mb)

Adultes Kleines Sumpfhuhn
Aufnahme 2:

MP4 (0,3 mb)



Verbreitung des Kleinen Sumpfhuhns

Das Hauptverbreitungsgebiet der Art erstreckt sich vom östlichen Mitteleuropa (Ostpolen/Weißrussland) über die russischen Steppengebiete bis nach Westsibirien. Ein disjunktes Areal ist das pannonische Tiefland (0st-Österreich,Ungarn, Slowakei), wo das Kleine Sumpfhuhn in geeigneten Lebensräumen in sehr hohen Dichten vorkommen kann. Hier ist vor allem der Neusiedlersee im Burgenland hervorzuheben. Außerhalb dieser geschlossenen Verbreitungsgebiete kommt die kleine Rallenart nur lokal in kleinen Brutpopulationen im westlichen und südlichen Europa vor. Deutschland liegt an der nordwestlichen Verbreitungsgrenze, weshalb sie bei uns nur ein sehr seltener und lokaler Brutvogel ist. Sie kommt in Deutschland vor allem in den Tiefebenen der östlichen Bundesländer vor. Aus den anderen Bundesländern gibt es Einzelbruten (Bauer et al. 2005). Schätzungen gehen von einem deutschen Gesamtbestand von 50 bis 100 rufenden Männchen für die Jahre 1995 -1999 aus (Birdlife International 2004). Aktuell dürften die Bestände wohl sogar noch darunter liegen. Dies alles erklärt die große Seltenheit von Kleinen Sumpfhühnern in Westdeutschland, damit auch für NRW.

Auftreten in Nordrhein-Westfalen

Bei Mildenberger (1982) ist das Kleine Sumpfhuhn als Ausnahmeerscheinung und ehemaliger Brutvogel aufgeführt. Im Peitzmeier (1969) wird die Art als unregelmäßiger Durchzügler in Westfalen bezeichnet. Einen sicheren Brutnachweis gibt es aus diesem Landesteil nicht.

In der Literatur (Mildenberger 1982, Peitzmeier 1969) finden sich einige ältere Nachweise, die zum Teil nicht mehr nachprüfbar sind, aber dennoch hier aufgeführt werden. Von der Avifaunistischen Kommission oder der DSK anerkannte Beobachtungen sind entsprechend gekennzeichnet.


Brutnachweise/Brutverdacht:

-    Anfang der 1920er Jahre Brutverdacht im Bereich der Ems östlich von Warendorf
-    1928 im Rheinwinkel bei Kleve-Schenkenschanz, 1 Altvogel mit 5 Jungen beobachtet
-    1955 am Schrolik (Krickenbecker Seen), Altvögel mit Jungen beobachtet
-    1956 am Schrolik (Krickenbecker Seen), Nest mit 3 Eiern und 4 Küken
-    1960 am Schrolik (Krickenbecker Seen), Brutverdacht
-    1963 am Schrolik (Krickenbecker Seen), Brutverdacht

Frühjahr/Brutzeit:

-    19.4.1897 Senner Teiche, Kreis Paderborn, 1 Ind. geschossen
-    Frühjahr 1907 an der Aa bei Münster, 2 Ind. „gesammelt“
-    24.4.1949 Torfvennteich, Hausdülmen, Kreis Recklinghausen, 1 Ind.
-    Sommer 1954 Sekretis (Nachbarsee des Schrolik, Krickenbecker Seen) Rufe an zwei Tagen
-    17.6.1957 Sekretis (Nachbarsee des Schrolik, Krickenbecker Seen) 2 Individuen
-    1957-1960 Sekretis (Nachbarsee des Schrolik, Krickenbecker Seen) weitere sechs Juni- und drei Julinachweise
-    21.4.1962 Ruhr bei Echthausen, Kreis Arnsberg, 1 Ind.
-    22.4.1962 Ruhr bei Echthausen, Kreis Arnsberg, 1 Ind. (anderer Vogel als am Vortag)
-    22.4.1976 Entenfang in Wesseling, Erftkreis 1 Ind.
-    2.6.1996 Kläranlage Arnsberg-Wildshausen, 1 ad. Weibchen, DSK: Anerkannt
-    4.-7.5.1998 Soester Klärteiche, 1 ad. Männchen, DSK: Anerkannt
-    28.5.1998 Kläranlage Düren, 1 ad. Weibchen, DSK: Anerkannt
-    3.5. 2008 Rieselfelder Münster, 1 Männchen. AviKom: Anerkannt


Vom Wegzug:
     -     9.10. (wahrscheinlich) 1872 Umgebung von Münster, 1 Ind.
-    28.7.1913 bei Berlebeck, Kreis Detmold, 1 Ind. erlegt
-    14.8.1966 Kläranlage Inden-Pier, Kreis Düren, 1 Weibchen
-    4.9.1968 Dortmund-Derne, Bergsenkungsgebiet, 1 Männchen
-    19.-23.9.1971 Rieselfelder Münster ,1 dj. Männchen, am 22.9. hier beringt
-    28.8.1973 Dortmund-Dorstfeld, 1 Männchen.
-    7.9.1975 Hävener Marsch bei Minden, 2 Männchen, 1 Weibchen
-    11.9.1975 Hävener Marsch, 1 Männchen
-    13.8.1983 Rieselfelder Münster, 1 dj. Ind., beringt, WOG: Anerkannt
-    4.10.1998 Köln-Immendorf, 1 dj. Ind. Totfund, im Museum Alexander Koenig/Bonn abgegeben, DSK: Anerkannt
-    31.8.2008- 19.9.2008 Rieselfelder Münster 1 dj.; Dokumentation bei AviKom in Begutachtung
-    4.9.2008 – 18.9.2008 Rieselfelder Münster m ad. (in unmittelbarer Nachbarschaft zum dj. Vogel); Dokumentation bei AviKom in Begutachtung


Danksagung:
Wir danken Eckhard Möller und Heinz-Otto Rehage für wertvolle Hinweise, sowie Hendrik Weindorf und Stefan Pfützke für die Fotos.


Literatur:
Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas – Nonpasseriformes – Nichtsperlingsvögel. Wiebelsheim.

Birdlife International (2004): Birds in Europe. Population estimates, trends and conservation status. Birdlife Conservation Series No. 12 Wageningen NL (Birdlife International).

Mildenberger (1982): Die Vögel des Rheinlands Band I: Seetaucher – Alkenvögel. Düsseldorf.

MSOrni: Aktuelle Beobachtungen aus Münster und Umgebung: http://www.msorni.de

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen.

Peitzmeier, J. (1979): Anhang zu Avifauna von Westfalen. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster Westfalen 41, Heft 3/4: 477-576.


Anschrift der Verfasser:

Holger Lauruschkus
Grevener Straße
48159 Münster Kinderhaus

Jan Ole Kriegs
LWL-Museum für Naturkunde
Sentruper Str. 285
48161 Münster