Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
März 2009

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Sie saß in den Weiten der Zülpicher Börde: Die Rotflügel-Brachschwalbe

Von Norbert Wittling

Einfach ist es nicht, sich nach mehr als 25 Jahren an dieses einmalige Ereignis zu erinnern, aber eins ist bis heute in meinem Gedächtnis geblieben:

Es war 1983 ein heißer Sommer, als ich von Michael Kuhn (Erftstadt) an einem Sonntag, dem 12. Juni, angerufen wurde: - Da wäre in der Zülpicher Börde südwestlich des Füssenicher Sees ein „kleines Vögelchen“ von Herrn Steiger beobachtet worden und ob ich nicht mal mit meiner Fotoausrüstung ein paar Bilder machen könnte. -

Ich versprach ihm, dass ich – sobald ich Zeit finden würde– mich der Sache annehmen wolle.
Dieses „kleine Vögelchen“ sollte eine „Brachschwalbe“ sein, was mir zu der Zeit gar nichts sagte! Obwohl ich damals schon seit 15 Jahren Vögel beobachtete, kannte ich diese Art noch nicht, da ich erst begann, die Welt zu entdecken.

Es dauerte dann noch weitere drei Tage, und Michael Kuhn musste zur Erinnerung noch mal anrufen, bis ich mich endlich an einem Mittwochabend (15.Juni 1983) gegen 18 Uhr auf den Weg begab. Vorher machte ich mich in der damaligen Vogel-Bibel, dem „Peterson“, kundig, was ich denn eigentlich suchen sollte. Wenn ich an heute denke - im Zeitalter des Club300 - kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, so eine Gemütsruhe an den Tag zu legen! Aber vor 25 Jahren war das anders.

So fand ich dann den Vogel auch nicht auf Anhieb, denn keine Ansammlung begeisterter Ornithologen zeigte mir den Weg! Die genaue Beschreibung von Michael war alles, was ich hatte. Der Vogel sollte sich in einem Rübenfeld mit einer wassergefüllten Senke aufhalten.
Dann konnte ja nichts mehr schief gehen…

Aber es dauerte dann doch eine Ewigkeit und strapazierte meine Nerven arg.
Mit meinem Fernglas (ein Fernrohr/Spektiv konnte ich mir noch nicht leisten) zwischen all den Rüben- und Getreidefeldern suchend und vom Wegesrand wartend, entdeckte ich ihn nicht. Selbst ein genaues Absuchen der einzelnen Pflanzreihen war erfolglos. Ich war ein einsamer Mann in der Weite der Zülpicher Börde…

Dann entschloss ich mich, bevor es dunkel wurde, die Rübenanpflanzungen (Pflanzenstand etwa 15cm hoch) zu durchqueren. Ich erschrak, als plötzlich und vollkommen überraschend vor mir in 80m Entfernung ein Vogel aufflog. Meine ganze Anspannung entlud sich beim Versuch, ihn ins Fernglas zu bekommen, was auch kurzfristig gelang, bevor er wieder zwischen den Rübenreihen untertauchte.

Was hatte ich gesehen? Einen kleinen zierlichen Vogel, bräunliche Färbung, spitze schlanke Flügel. Also sicheres Bestimmen war etwas anderes. Aber der Ruf, der beim Auffliegen ertönte, ein Seeschwalben-ähnliches „kirri-kirri“, zeigte mir, dass ich auf der richtigen Spur war.        
                                            
Da hatten wir schon 21 Uhr. Ich machte meine Spiegelreflexkamera fertig, schraubte noch den 2fach-Konverter dazwischen und machte mich – bewaffnet mit 700mm Tele und ASA 200 auf, einen erneuten Annäherungsversuch zu starten. Wieder ging der Vogel bei 80 oder 90m hoch und verschwand im Rübenfeld. Die gemachten Fotos waren noch nicht einmal als Beleg zu verwenden. Aber erneut vernahm ich den Ruf des Vogels, der während des ersten Flugdrittels anhielt. Es war eine Brachschwalbe – aber war es die gesuchte? Durch das Teleobjektiv hatte ich nichts erkennen können, was ich nicht vorher auch schon gesehen hatte.
Gut, der Flug wirkte seeschwalbenartig, wenngleich auch etwas zackiger und schneller, aber weitere Merkmale blieben mir versagt.

Jetzt packte mich der Ehrgeiz, aber da das Licht nicht mehr ausreichte, um noch gute Fotos zu bekommen, brach ich den Versuch für diesen Tag ab - fest entschlossen, am nächsten Tag wiederzukommen.

Am darauf folgenden Tag gelang es mir recht schnell, an bekannter Stelle die Brachschwalbe wieder zu finden. Eine Annäherung im Gehen scheiterte wie am Vortag. Deshalb entschloss ich mich, das Fernglas im Auto zu lassen und nur die Kamera mitzunehmen, denn das, was jetzt kam, musste für einen außen stehenden Beobachter abenteuerlich ausgesehen haben:
Erst auf allen Vieren und später auf dem Bauch robbend näherte ich mich dem Vogel innerhalb der nächsten Stunde, dabei immer schön aufpassend, dass ja die Kamera nicht in den Acker fiel!

Während dieser Zeit konnte ich bei jedem weiteren Annäherungsversuch oder
bei jeder Störung am Feldrand durch Autos oder Spaziergänger (Entfernung etwa 60 m) ein heftiges Auf- und Abwippen des Kopfes beobachten. Dieses Zeichen der Beunruhigung endete sofort, wenn die Störungseinflüsse wieder wegfielen.

Fotos 1-3

Nach einer weiteren Stunde – ich war mittlerweile bis auf etwa 20m herangepirscht - ließ sich der Vogel bei der Nahrungsaufnahme am Boden der Senke durch mich nicht mehr stören. Ebenso nicht die Kiebitze, Flussregenpfeifer und Bachstelzen, die sich im Laufe der Zeit an diesem feuchten Gebiet einfanden.  Selbst durch das Teleobjektiv konnte ich jetzt den Vogel gut sehen - und das bei dem Sucherbild, was damals bei mir ja noch nicht so hell und klar war wie die heutige Optik – (wenn ich da an die heutige Digiscopie durch das Spektiv denke! – Den Vögeln sei Dank!).

Folgende Merkmale konnte ich jetzt erkennen: Gestalt und Größe wie eine kleine Seeschwalbe, deutlich kleiner und kurzbeiniger als die anwesenden Kiebitze, aber auch deutlich größer als die Flussregenpfeifer. Weiterhin auffallend: Kurzer Schnabel – fast um die Hälfte kürzer als bei Seeschwalben! Stiernacken  - so dass der Kopf und Hals ein Gesamtes darstellten, Körper drosselförmig, Schwanz  und Flügel weit über Körper ragend. Kurze Beine  (aber nicht so kurz wie z.B. Zwerg- oder Trauerseeschwalbe), die je nach Lichteinwirkung von tief mahagoni- bis schwarzfarben wirkten.

Kopf, Rücken und Armflügel einfarbig gräulich sandfarben. Aus dieser Entfernung auch gut erkennbar: Die weißen Spitzen der Armschwingen, die einen schmalen weißen Hinterrand bilden. Handflügel deutlich dunkler und je nach Lichteinfall von tief graubraun bis dunkelrotbraun wirkend. Auffallend auch der tief gegabelte Schwanz, der mit den Handschwingen gleich abschließt. Stirn je nach Schattenbildung die Farbe der Handschwingen annehmend, sonst aber dunkler als Rücken und Nacken.

Die Eleganz des Vogels macht sicherlich neben seiner Gestalt auch das von Auge zu Auge reichende schwarze Halsband aus, in dem sich eine hellockerfarbige Kehle widerspiegelt.
Brust hell graubraun, in Höhe der Handschwingen verdunkelt, daher der Anschein eines Brustbandansatzes, Bauch und Unterschwanzdecken reinweiß.

Aber das wichtigste Merkmal, die Unterflügelfärbung, hatte ich noch nicht genau erkennen können. Diesen Gefallen tat mir der Vogel dann noch, indem er mal kurz die Flügel ausbreitete: Da waren deutlich die rotbraunen Achselfedern zu erkennen!

Es war die gesuchte Rotflügel-Brachschwalbe (Glareola pratincola)!

Aber den Unterschied zu ihrer Schwesterart, der Schwarzflügel-Brachschwalbe, im Feld zu erkennen, ist nicht so einfach, denn die Achselfedern und der hellere Gesamteindruck wirkten je nach Licht auch schwarz bzw. dunkler und können den schnellen Beobachter täuschen!

Aus einer Entfernung von jetzt manchmal nur 15m konnte ich durch das Teleobjektiv den weißen Augenring und die rötliche Schnabelbasis erkennen, was den Vogel als adultes Männchen auszeichnete.

Meine Mühen, das lange Warten, die verschmutzte Hose und das dreckige T-Shirt wurden in den nächsten drei Stunden dadurch belohnt, dass mir einige Verhaltensbeobachtungen dieses hier im Rheinland  (bis dahin offenbar nur ein sicherer Nachweis!) nur sehr selten beobachteten Vogels gelangen.

Der Nahrungserwerb am Boden erfolgte auf dreierlei Art und Weise:
1) Ruhiges Stillstehen auf einem Fleck; dabei vorüberfliegende  oder vorüberlaufende Insekten und Käfer fangend;
2) Aufrechtes, regenpfeiferartiges (mit gestrecktem Hals) Laufen über die Brachfläche,
unterbrochen von  sekundenlangem Stillstehen (Spähen nach Nahrung). Der Schnabel
wurde  teilweise bis zur Schnabelwurzel ins lockere Erdreich gesteckt, wobei der Vogel
noch ein bis zwei Schritte vorwärts ausführte: Gleichsam eine pflugartige Bewegung.
3) Die ersten beiden Verhaltensweisen sind auch im „Handbuch der Vögel Mitteleuropas“
beschrieben (v. Blotzheim 1977), die dritte Art der Nahrungsaufnahme
allerdings noch nicht: Während des Stillstehens erfolgte plötzlich aus dem Stande ein Hochspringen von etwa 3-6 cm Höhe, ohne dass die Flügel dabei benutzt wurden. Es handelte sich hier um einen Sprung aus dem Stand. So wurden erfolgreich Fluginsekten gefangen. Diese Art der Nahrungsaufnahme konnte ich in den drei Stunden fünfmal beobachten  Die Rotflügel-Brachschwalbe war also in der Lage, sprungartige Fangbewegungen zwecks Nahrungsaufnahme zu vollführen!

Die letzte Beobachtung dieses wohl aus dem Mittelmeerraum stammenden Vogels erfolgte am 19. Juni 1983 gegen 22 Uhr.

70 Prozent der bis dahin in Deutschland nachgewiesenen Rotflügel-Brachschwalben wurden von Ende Mai bis Anfang Juni beobachtet mit einem deutlichen Schwerpunkt in Süddeutschland. Oft ist nur eine Verweildauer von einem Tag bekannt (maximal 15 Tage) (Bezzel 1985).

Aus Nordrhein-Westfalen sind bisher nur sehr wenige Nachweise von Rotflügel-Brachschwalben bekannt:
-    Im August 1851 wurde ein adultes Männchen in der Venne bei Ottmarsbocholt nahe Lüdinghausen/Münsterland geschossen (Peitzmeier 1969).
-    Am 1.5.1900 wurde ein adultes Individuum in Duisburg-Huckingen geschossen (Mildenberger 1982).
-    Am 14.9.1969 konnte Gerd Köpke eine Rotflügel-Brachschwalbe an den Hattroper Klärteichen bei Soest beobachten (Köpke 1971).
-    Am 10.6.1972 sah Hans-Georg Niermann eine in der Häverner Marsch bei Petershagen-Hävern (Kreis Minden-Lübbecke) (Niermann 1972).

Die Meldung der Zülpicher Rotflügel-Brachschwalbe ist vom Seltenheiten-Ausschuss der Gesellschaft Rheinischer Ornithologen (GRO) anerkannt worden (Przygodda 1985), danach auch vom damaligen Bundesdeutschen Seltenheitenausschuss (BSA 1989).

Der zu der Zeit für die BRD zweitlängste Aufenthalt einer Rotflügel-Brachschwalbe bot mir Gelegenheit, einen Vogel intensiv kennenzulernen,  den ich vorher nicht kannte – zu dem ich aber ein besonderes Verhältnis entwickelte und der mir viel Freude bereitete.


Literatur:
Bezzel, E. (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Wiesbaden.

Blotzheim, G. v. (1977): Handbuch der Vögel Mitteleuropas, Band 7. Wiesbaden.

Bundesdeutscher Seltenheitenausschuss (1989): Seltene Vogelarten in der Bundesrepublik Deutschland von 1977 bis 1986. Limicola 3: 157-196.

Köpke, G. (1971): Brachschwalbe (Glareola pratincola) bei Soest. Anthus 8: 63.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes Band 1. Düsseldorf.

Niermann, H.-G. (1972): Brachschwalbe im Kreis Minden. Anthus 9: 66-67.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.

Peterson, Mountfort, Hollom (1976): Die Vögel Europas. Hamburg/Berlin.

Przygodda, W. (1985): Nachweise seltener Vogelarten aus dem Rheinland III. Charadrius 21: 177-181.

Wittling, N. (1984): Verhaltensbeobachtungen an einer Braunflügel-Brachschwalbe (Glareola pratincola) bei Zülpich. Charadrius 20: 54-56.


Anschrift des Verfassers:
Norbert Wittling,
Ehlenstr. 3
50389 Wesseling