Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
März 2008

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Er kam aus dem Osten: Der Goldhähnchen-Laubsänger

Von Andreas Buchheim und Tobias Rautenberg


Einige Zeit nach Beendigung meines Zivildienstes besuchte mich (AB) mein Exkollege Klaus Günther, um sich einige der Beobachtungsgebiete in Nordrhein-Westfalen anzusehen. Am 24. März 1988 machten wir uns also morgens auf den Weg in die sagenumwobenen Rieselfelder Münster. Nach einem eher langweiligen Rundgang entdeckten wir dann eine Schwarzkopfmöwe, immerhin ein Altvogel im Prachtkleid und zu der Zeit noch eine Seltenheit. Kurzentschlossen fuhren wir danach das Teichgut des Herzog von Croy bei Dülmen-Hausdülmen an, welches heute als NSG Teiche in der Heubachniederung firmiert. Zu unserer Enttäuschung waren die angepeilten Wasservögel abwesend, was nicht verwunderlich war, denn auch das Wasser fehlte. Die Teiche blieben damals für einige Zeit unbespannt, und auf diese Art und Weise wollte der Herzog im Tauziehen um die Unterschutzstellung viel für seine Zwecke herausschlagen, natürlich zu Ungunsten des Naturschutzes.

Mehr so zum Scherz schlug ich vor, in den Gehölzen nach Sommergoldhähnchen (Sogo) zu suchen. Kaum hatte ich es ausgesprochen, sah ich durch mein Fernglas flüchtig einen kleinen vielgestreiften Vogel, der sich aber in dem Moment unseren Blicken entzog, als wir ihn richtig im Glas hatten. War das tatsächlich ein Sommergoldhähnchen gewesen? Wir waren uns unsicher und berichteten von unseren Beobachtungseindrücken. Klaus hatte mindestens eine gelbe Flügelbinde erkannt und einen sehr gelben Überaugenstreif, ich hingegen hatte einen grüngelben Kopf gesehen, wobei einige Bereich grün, anderen gelb waren, und das in parallelen Streifen. Um wie viele Streifen es sich gehandelt hatte, war mir unmöglich zu sagen. Gelbe Überaugenstreifen sich ja nicht typisch für Sogos.

In unserer Diskussion erschien uns das Sommergoldhähnchen immer unwahrscheinlicher, zumindest dann, wenn wir uns nicht verguckt hatten. Folglich blieb uns nichts anderes übrig, als mit der Nachsuche zu beginnen. Dies war nicht einfach, denn der verdächtige Vogel war Teil eines gemischten Kleinvogeltrupps, der marodierend (zumindest sicherlich aus der Sicht ihrer wirbellosen Beutetiere) durch die Büsche zog – er wartete nicht auf uns.

Nach kurzer Zeit erblickten wir dann doch den sehr agilen Zwerg in den Tiefen eines Brombeerbusches und nach noch kürzerer Zeit flog der Vogel ab. Nun hatte auch ich die gelbe Flügelbinde gesehen, aber war es nur eine oder waren es sogar zwei? Uns dämmerte, dass wir es nicht mit einem Sogo zu tun hatten. Es galt jetzt, jeden Kleinvogel genau anzusehen, und nach wenigen Augenblicken entdeckte Klaus den Vogel in etwa 7m Entfernung in Bodennähe auf einem halb verrottetem Baum. Es gab hier keine blickdichten Äste, die unsere Sicht hinderten: Wir sahen völlig verdutzt einem Goldhähnchen-Laubsänger (Phylloscopus proregulus) bei der Jagd zu.

Fotos: Goldhähnchen-Laubsänger aus der Mongolei


Unsere Beobachtung wurde vom damaligen  Raritätenkomittee der Westfälischen Ornithologengesellschaft (WOG) (wer erinnert sich heute noch daran, dass es einmal zwei ornithologische Verbände in NRW gab?) mit der Begründung „Der Zeuge ist unbekannt“ abgelehnt, vom Bundesdeutschen Seltenheitenausschuss aber als ausreichend dokumentiert eingestuft (BSA 1990). Es war damit der erste Nachweis eines Goldhähnchen-Laubsängers in Nordrhein-Westfalen. Bis heute handelt es sich um einen der wenigen Frühjahrsnachweise, der zudem im Binnenland erfolgte. Klaus ist ein echter Glückspilz…

Auf die zweite Beobachtung eines Goldhähnchen-Laubsängers mussten die Vogelgucker in NRW fast 15 Jahre warten:

Der 11. Januar 2003 war ein Samstag. Ich (TR) saß zu Hause in Bochum beim Frühstück, und mein Vater fragte mich, ob wir nicht zum Kemnader See fahren wollten, um zu gucken, was dort so los sei. Eigentlich hatte ich anderes im Sinn, denn im Birdnet hatte ich gelesen, dass sich auf den Krickenbecker Seen im Kreis Viersen ein Eistaucher aufhielt. Dieser sollte dort ziemlich gut zu beobachten sein, da er nur in einem relativ kleinen eisfreien Bereich des Hinsbecker Bruchs schwimmen konnte. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass dieses Wochenende zu einem äußerst erfolgreichen in meiner noch jungen Birderlaufbahn werden sollte. Und auch viele Beobachter aus Deutschland und Holland konnten noch nicht wissen, dass ihnen in den nächsten Wochen viele Stunden des mühseligen Suchens und der Nackenschmerzen bevorstanden. Und so viel sei verraten – nicht der Eistaucher war der Grund dafür....

Wir machten uns auf den Weg und erreichten die Krickenbecker Seen am späten Vormittag. Der Eistaucher war schnell gefunden und sehr schön zu beobachten. Zwar kannte ich die Art schon, denn nur 6 Wochen zuvor hatte mich mein erster Twitch überhaupt zu einem Eistaucher an einen Kiessee in Köln-Immendorf geführt. Doch hatte mich die Qualität der Beobachtung auf Grund der recht großen Distanz und schlechter Sicht damals nicht wirklich zufrieden gestellt, so dass ich froh war, die Art nun perfekt studieren zu können. Nachdem mein Vater und ich den Vogel rund eine Stunde ausgiebig beobachtet hatten, hätte es von mir aus auch gerne wieder nach Hause ins Warme gehen können, denn es war doch ein recht kalter Wintertag. Leider sah mein Vater dies etwas anders, und so musste ich notgedrungen noch einem Spaziergang um die Seen zustimmen. Im Nachhinein sollte dies nicht die schlechteste Entscheidung gewesen sein.

So machten wir uns auf die Runde und liefen eine ganze Zeit durch die Kiefernwälder, die die Seen umgeben. Auf dem Weg konnte ich einige Arten meiner Jahresliste hinzufügen. Irgendwann wurde ich auf zwei Haubenmeisen aufmerksam, die über uns in den Baumkronen riefen und herumturnten. Ich hob das Fernglas, um mir einen der beiden hübschen Vögel etwas genauer anzugucken, und während ich diesen betrachtete, sprang mir plötzlich ein kleiner Vogel von rechts in den Bildausschnitt.

Er war sehr klein, gelb-grünlich-oliv, und sofort fielen zwei markante Flügelbinden und ein deutlich erkennbarer Überaugenstreif auf. Ich dachte sofort: „Ach du sch****. Das ist was Seltenes. Was ziemlich Seltenes!!!“. Ich kannte diesen Vogel aus meinem Bestimmungsbuch, dass ich natürlich NICHT dabei hatte. Wer rechnet schon damit, dass man es in einem Kiefernwald braucht, wo es sowieso nur Meisen und Wintergoldhähnchen gibt.

Vom ersten Moment an war mir klar, dass es ein Goldhähnchen-Laubsänger war! Denn nur zu oft hatte ich in der Vergangenheit beim Durchblättern des Svensson-Buchs auf dieser Seite halt gemacht und gedacht, wie toll es wäre, den mal zu sehen. Ich war sicher, obwohl ich weder diese Art noch den für unerfahrene Beobachter doch recht ähnlichen Gelbbrauen-Laubsänger (Phylloscopus inornatus) bis dahin jemals gesehen hatte. Nach ein paar Sekunden bestätigte sich diese Annahme dann auch zweifelsfrei als richtig, denn der Vogel rüttelte und zeigte dabei einen  hellgelben Bürzelfleck. ,,So ein Mist. Das glaubt dir keiner!“, dachte ich als nächstes.

Zum Vergleich:

Fotos: Gelbbrauen-Laubsänger
aus der Mongolei

Fotos: Tienshan-Laubsänger
aus der Mongolei

Die Rufe:

Typische Rufe des Goldhähnchen-Laubsänger aus Ussurien als mp3 (Oktober 2006, Ton-Aufnahme: Jan Ole Kriegs)

Typische Rufe des Gelbbrauen-Laubsänger vom Baikalsee als mp3 (Juli 2002, Ton-Aufnahme: Jan Ole Kriegs)

Sofort rief ich meinen Vater herbei, der einige Meter voraus war, und auch er konnte den Vogel sehen und mir die Merkmale bestätigen. Viel damit anfangen konnte er zwar nicht direkt, denn er ist zwar sehr interessiert, war und ist aber kein Vollblutbirder. So kannte er Goldhähnchen und auch Laubsänger, aber von einem Goldhähnchen-Laubsänger hörte er in diesem Moment sicherlich zum ersten Mal.

Auf Grund des sehr steilen Blickwinkels war der Scheitelstreif beim herumspringenden Vogel nur selten und jeweils nur kurze Momente zu sehen. Während der gesamten Beobachtungsdauer rüttelte der Vogel noch etwa 6 bis 8 mal und verschwand nach etwa 5 Minuten im Kronendach des tieferen Waldes.
 
Unmittelbar danach kramte ich mein Handy hervor und versuchte Claus Sandke in Bochum anzurufen, der allerdings nicht erreichbar war. Leider ebenfalls vergeblich blieben meine Versuche, Hendrik Weindorf zu informieren, so dass mein Vater und ich uns auf den Weg zur Biologischen Station Krickenbecker Seen machten, wo ich den Biologen Peter Kolshorn darüber in Kenntnis setzen wollte. Auf dem Weg dorthin begegneten wir zwei Ornis bzw. Fernglasträgern, denen ich euphorisch von meiner spektakulären Entdeckung berichtete. Ihre Reaktion darauf war ein leichtes, aber nicht zu übersehendes Grinsen und die Worte: „Ah, ja interessant. Hmm....“. Dabei bin ich mir bis heute nicht sicher, ob die entweder noch nie von einem Goldhähnchen-Laubsänger gehört hatten oder dachten: „Der spinnt doch. Wir sind hier doch nicht auf Helgoland!“. Beide gingen weiter, und auch wir setzten unseren Weg fort, wobei ich die ganze Zeit überlegte, was ich bisher über Goldhähnchen-Laubsänger-Nachweise in NRW wusste. Spontan fiel mir nur die Beobachtung eines Vogels in den 80er Jahren an den Hausdülmener Fischteichen ein. 

An der Biostation angekommen, war leider außer einem Zivildienstleistenden, der ebenfalls noch nicht von einem Goldhähnchen-Laubsänger gehört hatte, niemand anwesend, den diese Information nur ansatzweise interessiert hätte. Ich drängte ihn jedoch dazu, eine Notiz zu machen, und bat ihn, diese an Peter Kolshorn weiterzuleiten. Wir machten uns dann auf den Heimweg gen Bochum, wo ich am frühen Abend dann auch endlich Hendrik Weindorf erreichen konnte, der diese Info ins Birdnet setzte, wobei mir allerdings klar war, dass sicherlich einige Leute dieser Sache wenig Glauben schenken würden.

Nichts desto trotz klingelte noch am selben Abend das Telefon, und ein gewisser Klaus Hubatsch wollte mich sprechen. Nach wenigen Worten war klar, dass wir uns von meinem ersten Helgolandbesuch aus dem Herbst 2002 kannten, und er schien meine Beobachtung in der Tat für sehr verlässlich zu halten. Ich beschrieb ihm die Stelle möglichst genau, denn er und andere Viersener Ornis wollten am kommenden Tag ihr Glück versuchen und die Nachsuche aufnehmen. Diese blieb allerdings am folgenden und auch an den nächsten Tagen ergebnislos. Ich verlor langsam die Hoffnung, dass der Vogel nochmals von anderen bestätigt würde. So fand ich mich langsam schon innerlich damit ab, dass diese Beobachtung ohne Belege und gemacht von einem noch weitgehend unbekannten „Grünschnabel“ der Orni-Szene wohl nicht von der Seltenheitenkommission anerkannt werden würde. Umso schöner war es, als ich am 18. Januar im Internet lesen konnte, dass die Viersener nach langer und harter Suche den Vogel endlich wiedergefunden hatten. Heino Thier sowie Klaus, Markus und Daniel Hubatsch hatten den Vogel vergesellschaftet mit Goldhähnchen in ein paar hundert Meter Entfernung von meiner Beobachtungsstelle wieder entdeckt.

In den folgenden Wochen kamen viele Beobachter, um den Vogel zu sehen, wobei jedoch nur wenigen dies auch gelang. Auch zwei weitere Besuche von mir und einer Bochum-Delegation am 25. Januar und 8. Februar blieben, abgesehen von starken Nackenschmerzen, ergebnislos. Der letzte Glückliche, der einen Blick auf den Vogel werfen konnte, war Benjamin Steffen, der ihn am 1. März 2003 sah.

Nun 5 Jahre später und mittlerweile um einige Goldhähnchen-Laubsänger-Beobachtungen reicher, ist und bleibt dieses Erlebnis dennoch ein ganz besonderes. 

Die Meldung dieses Krickenbecker Goldhähnchen-Laubsängers wurde von der Avifaunistischen Kommission der NWO einstimmig anerkannt (Avifaunistische Kommission der NWO 2007) und mit diesem Votum an die Deutsche Seltenheitenkommission (DSK) weitergeleitet, deren Bericht über das Jahr 2003 noch aussteht. 


Literatur:

Avifaunistische Kommission der NWO (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2000 bis 2005. Charadrius 43: 66-91.

Bundesdeutscher Seltenheitenausschuss (1990): Seltene Vogelarten in der Bundesrepunblik Deutschland 1987 und 1988. Limicola 4: 183-212.


Anschriften der Verfasser:
Andreas Buchheim, Eichenstr. 1, 45711 Datteln
Tobias Rautenberg, Theodor-Heuss-Allee 20, 54292 Trier