Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
März 2007

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Er kommt aus dem Süden: ZISTENSÄNGER



Von Klaus Hubatsch & Eckhard Möller



Merkwürdig und gleichförmig war das Geräusch. Es bestand aus einem eintönigen, ständig wiederholten „zip, zip, zip“ und kam aus einer nassen Seggen- und Binsenwiese. Erst als Heino Thier am Morgen des 11. August 2004 nach einigem Suchen einen sehr kleinen Vogel bemerkte, der diese Geräusche verursachte, wurde ihm klar, dass es ein Gesang sein musste. Der Winzling stieg in einem Steigflug hoch in die Luft und in einem Sinkflug wieder runter und verschwand dann in der dichten Vegetation.

Heino Thier war mit Pflegearbeiten im Naturschutzgebiet Lüsekamp (Foto 1) bei Niederkrüchten (Kreis Viersen) beschäftigt, als sein Blutdruck so plötzlich erheblich gesteigert wurde. Der kleine Vogel war bräunlich, das konnte er sofort erkennen. Er hatte sich zum Glück eine Sitzwarte in einem kleinen, etwa einen Meter hohen Weidenbusch ausgesucht, in der er dann meist seinen ‚Gesang’ beendete und besser gesehen werden konnte. Der Sänger zeigte auffallende schwarz-beige Kopfstreifen und noch auffallendere gleichfarbige Rückenstreifung. Die Flügel waren sehr kurz. Bürzel und Flanken waren zimtfarben, der Bauch weißlich. Ein deutlicher Überaugenstreif war nicht zu sehen, dafür war aber das Schwanzmuster auffallend kontrastreich: Die schwarzweißen Spitzen der Steuerfedern waren bei der Landung immer gut zu sehen.

LuesekampFoto 1

Es konnte nun kein Zweifel mehr bestehen: Es war ein Zistensänger (Cisticola juncidis), den jeder Vogelbeobachter kennt, der schon einmal die Mittelmeerländer besucht hat. Und er sang in Nordrhein-Westfalen, obwohl die holländische Grenze nur wenige Meter entfernt war. Heino Thier rief per Handy sofort weitere Beobachter herbei, die den Vogel am Abend bestätigen und ausgiebig bewundern konnten. In den folgenden Tagen wurde er auch von zahlreichen anderen Ornithologen gesehen, die auch von weiter her anreisten. Teilweise überquerte er sogar kurz die Grenze zu den Niederlanden. Die letzte Beobachtung erfolgte am 21. August gegen 15 Uhr; gegen 18.30 Uhr war er anscheinend weg. Auch in den folgenden Tagen wurde er nicht mehr gesehen.

Der Zistensänger bewohnt in Europa Feuchtwiesen und Ruderalflächen meist in der Nähe von Gewässern und kommt vor allem in Küstengebieten Griechenlands, Italiens, der Iberischen Halbinsel sowie in Süd- und Westfrankreich vor. In den letzten Jahren hat er sein Brutvorkommen von der französischen Atlantikküste nach Belgien und Zeeland (NL) ausgedehnt. Im Frühjahr/Sommer 2004 gab es beispielsweise bei Zeebrügge (Belgien) 29 Reviere. Da der Zistensänger Standvogel ist, scheinen die Vorkommen am Atlantik in Frankreich, Belgien und den Niederlanden starken Schwankungen durch kalte Winter ausgesetzt zu sein (van den Berg & Bosman 1999, Bauer et al. 2005).

Infolge der Ausbreitung nach Nordwesten in den letzten 30 Jahren gab es auch in Deutschland seit 1975 Nachweise, und zwar zunächst nur aus dem Süden Baden-Württembergs (vor allem dem Bodenseegebiet), und 1977 sogar Brutverdacht bei Villingen/Schwenningen. Die meisten Nachweise stammen dabei nicht vom Frühjahr, sondern wie bei dem Vogel im Lüsekamp vom Sommer, was vor allem auf Zugbewegungen der im selben Frühjahr erbrüteten Jungvögel zurückgeht. Sie können schon im Spätsommer desselben Jahres zur Brut schreiten. Es liegt nahe, dass sich der Vogel vom Lüsekamp auch aus dem belgisch-niederländischen Grenzgebiet in den Kreis Viersen verflogen hat. In den letzten Jahren brütete die Art sogar bei Budel-Dorplein (NL) – nur rund 30 Kilometer Luftlinie entfernt.

Zum ersten Mal ist 1997 ein Zistensänger in Nordrhein-Westfalen beobachtet worden. Am 14. August war Klaus Böhm wie so oft in dem ausgedehnten Gebiet der Rieselfelder Münster unterwegs, um die Vögel zu zählen. Die sogenannte Fläche 33 war zu der Zeit flach mit Wasser überstaut und mit Binsen, wenigen Schilfkomplexen und Rohrglanzgras bewachsen. KB stieg vorsichtig auf den Damm, um vor allem die scheuen Enten nicht zu verscheuchen, als er nur zwei bis drei Meter vor sich ein leises scharfes „zip-zip-zip“ hörte. Sein erster spontaner Gedanke war: „Eine Gebirgsstelze“! Als er die Dammkrone erreicht hatte, suchte er nach der Stelze, sah aber einen kleinen Vogel, der etwa 20 Meter entfernt auf einer Hochstaude niederging und dann im Kraut verschwand. Sein Verdacht: Das ist der Vogel mit den zip-Rufen. KB ging näher vorsichtig heran, bis er die Stelle erreicht hatte. Fast wie eine Zwergschnepfe flog plötzlich nur einen Meter vor ihm der kleine braune Vogel auf. Sein Schwanz mit den weißen Flecken war perfekt zu sehen: Ein Zistensänger!!! Noch am selben Nachmittag konnte er von Armin Deutsch, den KB alarmiert hatte, bestätigt werden. Der Vogel war im Vergleich zu einer benachbarten Rohrammer klein und war hellbraun-gelblich gefärbt. Auf dem Rücken wechselte diese Färbung mit schwärzlichen Längsstreifen ab. Der Oberkopf war dunkel, der Schwanz  verhältnismäßig kurz und rundlich, die Steuerfedern hatten weiße Spitzen. AD traute seinen Augen nicht: Der Zistensänger trug im Schnabel ein größeres weißes Büschel, das entweder aus sehr vielen Spinnweben oder – wahrscheinlicher – aus Samenwolle der fruchtenden Disteln auf den Dämmen bestand. Er flog damit in einem hüpfenden, relativ langsamen Flug zu einer Stelle mit dichter Vegetation, rüttelte dort ein paar Sekunden und verschwand zwischen den Pflanzen. Das war sicher Nestbauaktivität.

Der Gast aus dem Süden blieb bis zum 23. August 1997 in den Rieselfeldern (Böhm 1998)  und wurde in dieser Zeit von etlichen Vogelguckern bewundert. Die Beobachtung wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 2000). Der Zistensänger vom Lüsekamp von 2004 war dann  der zweite in Nordrhein-Westfalen, der von 2005 der dritte. Beide Meldungen werden derzeit von der Deutschen Seltenheitenkommission geprüft.

CisticolaFoto 2

Aus dem nördlich angrenzenden Niedersachsen gibt es erst einen einzigen Zistensänger-Nachweis: Vom 24.8. bis zum 3.9.1996 hatte einer im Niedervieland nordwestlich von Bremen ein Revier besetzt (Handke & Seitz 1997). Es sollte - wohl bis heute und erstaunlicherweise - der einzige bleiben (Zang in Zang et al. 2005).

Heino Thier dachte, er träumt…
Am 22. Juli 2005 war er wieder mal im Lüsekamp unterwegs. Etwa einen Kilometer von dem 2004er Revier entfernt hörte er wieder dieses merkwürdige zippende Geräusch: Ein Zistensänger stieg zum Singflug hoch! Diesmal blieb er bis zum 10. September und sorgte für Begeisterung bei zahlreichen aus ganz Deutschland angereisten Bewunderern. Am 12. August wurde beobachtet, wie der Vogel etwas Helles im Schnabel trug und es an eine bestimmte Stelle ins Schilf direkt neben einer Seggenwiese brachte. Da nie ein zweiter Vogel zu sehen war und somit eine Brut auszuschließen ist, könnte es sich um Nistmaterial zum Bau eines ‚Spielnestes’ gehandelt haben, ähnlich wie es zum Beispiel Beutelmeisen tun.

CisticolaFoto 3

CisticolaFoto 4

Leider erfüllten sich die aufkeimenden Hoffnungen auf eine Revierbesetzung und Brut im  folgenden Jahr nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…


Wir möchten uns bei Klaus Böhm, Armin Deutsch, Daniel Hubatsch und Heino Thier für ihre freundliche Unterstützung bedanken.


Literatur:

Bauer, H.-G., E. Bezzel & W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas – Passeriformes – Sperlingsvögel. Wiebelsheim.

Böhm, K. (1998): Vogel-Artenliste für die Rieselfelder Münster 1997. Jahresbericht 1997 der Biologischen Station Rieselfelder, S. 32-44.

Deutsche Seltenheitenkommission (2000): Seltene Vogelarten in Deutschland 1997. Limicola 14, S. 273-340.

Handke, K. & J. Seitz (1997): Ein Cistensänger Cisticola juncidis in Norddeutschland. Limicola 11, S. 26-28.

Van den Berg, A. & C. Bosmann (1999): Rare birds of the Netherlands. Utrecht.

Zang, H. (2005): Cistensänger Cisticola juncidis (Temm., 1820). In: Zang, H., H. Heckenroth & P. Südbeck: Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Drosseln, Grasmücken, Fliegenschnäpper - . Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen Sonderreihe B 2.9, S. 200.



Anschriften der Verfasser:
Klaus Hubatsch, Hombergen 68, 41334 Nettetal
Eckhard Möller, Stiftskamp 57, 32049 Herford