Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Mai 2007

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Sie kommen aus der Arktis und vom Atlantik – SCHWALBENMÖWEN


Von Harro H. Müller


„Tachchen, da wehe ich mal zu ungewöhnlicher Jahreszeit ins Land, die Xema sabini, manche sagen auch Larus sabini, die Schwalbenmöwe. Dieses Nordrhein-Westfalen ist ja eigentlich nicht so ganz mein Habitat. Bin bekanntlich mehr an der Küste und vor allem auf hoher See unterwegs, so zwischen Polarmeer und Mittelatlantik, sogar bis querab Südwestafrika. Nur wenige von uns habt ihr ja in NRW zu Gesicht bekommen. Ist ein bißchen weitab von unseren Routen, dieses Binnenland.

Nun, auch an der Nordseeküste ist´s auf der Durchreise ganz schön. Zugegebenermaßen geschieht das mehr vom Wind getrieben denn aus Neigung. Aber mittlerweile lassen sich einige meiner Artgenossen  jedes Jahr zumindest an der Küste blicken. Die Stürme sind in den letzten Jahren einfach häufiger geworden. Da lassen wir uns Kräfte sparend treiben und verdriften. Das könnte zunehmend auch mit dem Klimawandel zusammenhängen, den wir auch schon reichlich in der Arktis spüren. Aber das ist ein anderes Kapitel. Oder auch nicht. Jedenfalls gibt es nicht mehr gerade viele von unserer Art, angeblich nur noch so 20.000 in der Paläarktis.

Wie auch immer: Große Abstecher ins Binnenland mögen wir überhaupt nicht. Sie gelten auch als wenig entspannend. Einmal, weil da ziemlich wenig Wasser ist. Zweitens, weil man auf diesen sporadischen Pfützen beispielsweise von Rhein, Ruhr, Sieg und Ahse oder  größeren Tümpeln, die ihr Talsperren nennt, praktisch Null Wellenwindwellen zum Wasserlaufen findet. Wobei wir auch rein nahrungstechnisch über das dort vorkommende Süßwassergetier entsetzt sind. Wie das schmeckt... Der Nährwert... Und wenn man überhaupt genügend davon findet, weil diese komischen Gewässer kaum Strömungs- und Brandungsauftrieb kennen. Zudem, welch Grauen, überall noch mehr gefährliche „Bohrtürme“, Riesenwindräder und andere unheimliche Beton-Stahl-Glas-Klopper als da ohnehin schon immer mehr im Meer herumstehen.“

So oder ähnlich könnte vielleicht die alte Geschichtsschreiberin aus der Sippe der Schwalbenmöwen die spärlichen Besuche ihrer Art im Binnenland generell und in NRW speziell mit gerade etwa zehn Nachweisen bis auf den heutigen Tag beschreiben.

Tachchen, da bin ich mal wieder. Schön, nach langer Zeit mal wieder in Nordrhein-Westfalen zu landen. Als klitzekleiner Beschreiber des Vorkommens der Schwalbenmöwe, in diesem Fall in Westfalen. Eckhard Möller aus Herford hatte entdeckt, dass ich in den Urzeiten der 1960er Jahre in der „Avifauna von Westfalen“ unter der Regie des ornithologischen Altmeisters Joseph Peitzmeier die meisten der Lariden bearbeiten durfte. Die Arbeit an der Schwalbenmöwe war allerdings schnell getan, neun Zeilen kamen dabei heraus. Bis zum Erscheinen der westfälischen Avifauna 1969 hatte es gerade einmal zwei Nachweise des so hübschen hocharktischen Brutvogels im westfälischen Raum gegeben.

Normalerweise ist Xema sabini recht einfach zu bestimmen. Jedoch: Bei schlechter Sicht und auf große Distanz kann es zu Verwechselungen mit einjährigen Dreizehen- und Zwergmöwen kommen. Etwas kleiner als die Lachmöwe, fällt meist der seeschwalbenartige Flug der langflügeligen Schwalbenmöwe mit ihrem deutlich gegabelten Schwanz auf. Im Jugendkleid konstrastiert die leicht gebänderte braungraue Oberseite mit dem dreiecksartigen weißen Hinterflügelfeld (das hat so keine andere Möwe). Handschwingen und gegabelter Schwanzrand (Gabelung je nach Windeinwirkung nicht immer zu sehen) sind schwarz.

Schwalbenmöwe Foto 1

Altvögel sind im Brutkleid leichter zu bestimmen. Im Herbst kann oft noch das Brutkleid bewundert werden mit schiefergrauem Kopf, aus der Nähe ist der schwarze Begrenzungsring zum knallweißen Hals auffällig. Schwarzer Schnabel mit gelber Spitze. Der Mantel ist hellgrau mit klarem Kontrast zu den breit schwarzen Außenschwingen und dem oben schon genannten weißen Hinterflügeldreieck. Der Schwanz ist ebenfalls rein weiß.

Schwalbenmöwe Foto 2

Zurück in die Geschichte der ersten westfälischen und rheinischen Nachweise, die bedauerlicherweise jeweils auf Flinteneinsatz beruhen:

1. Ein Jungvogel war laut Bolsmann und Altum 1853 ohne nähere Zeitangabe auf einem Acker bei Osterwick im Kreis Coesfeld erlegt worden und kam in die Sammlung von Bolsmann. Ein Beleg (Präparat) ist nicht verzeichnet.

2. Ein Altvogel soll möglicherweise im Jahr 1827 in Freckenhorst im Kreis Warendorf erlegt worden sein, wie Friedrich Goethe 1939 festhielt. Das Exemplar befindet sich in der Sammlung des Landesmuseums Münster. Zunächst war es aber nicht auffindbar, weil es nicht im Museum für Naturkunde, sondern in der Sammlung des Zoologischen Instituts der Uni steckte, wie Heinz-Otto Rehage aus Münster berichtet. In der „Zoologie“ war der schöne Vogel ziemlich vergammelt und sah „uralt und dreckig“ aus, bis Oberpräparator Vornefeld das Tierchen „neu gestopft hat“. Das war 1925. Vornefeld teilte dazu mit, der Vogel sei so 98 Jahre früher, also um 1827, erbeutet worden. 

Schwalbenmöwe Foto 3

Danach herrschte lange lange Stille um die grazile Möwe, bis sie dann wieder im rheinischen Teil hingestreckt wurde:

3. Am 3. 9. 1893 wurde ein Exemplar in Düren-Gürzenich geschossen und kam in das Museum A. Koenig in Bonn.

4. Ein am 9. 8. 1900 an der Grenze zu Belgien im Warchetal bei Malmedy erlegtes altes Weibchen gelangte in die Sammlung von Otto le Roi. Das war der bekannte Begleiter von Alexander Koenig (Bonn), der auf drei Spitzbergen-Expeditionen (1905, 1907 und  1908) die Art dort als Brutvogel nachweisen konnte. Leider, wie üblich, wurden  auch Brutpaare für Sammlungen geschossen, wie das damals in Forscherkreisen so die Regel war.

Dann dauerte es fast acht Jahrzehnte, bis die nächsten Schwalbenmöwen im Land entdeckt wurden:

5. 17. 8. 1977 1 Ex. Rieselfelder Münster (Christoph Sudfeldt, Rex) (anerkannt vom Bundesdeutschen Seltenheitenausschuss – BSA 1983)

6. 29. 10. 1997 1 K1-Vogel am Stapelbecken der Grube Vereinigte Ville südlich Hürth-Knapsack, Erftkreis (Michael Kuhn) (anerkannt, DSK 2000)

7. 30./31.8.1998 1 K3-Vogel Zülpicher Börde östlich Zülpich-Wichterich, Kreis Euskirchen (Michael Kuhn, David Gray, Bernhard Deykowski) (anerkannt, DSK 2002)

8. 18. 9. 1998 1 K1-Vogel in den Ahsewiesen bei Welver, Kreis Soest (Pascal Eckhoff, Arne Hegemann, Olaf Zimball, Margret Bunzel-Drüke) (anerkannt, DSK 2002)

9. 22.-24.9. 2001 1 ad. (evtl. aber K3) Möhnesee, Kreis Soest (Martin Gottschling, Axel Müller, Chris Husband, Wolfgang Pott u.a.) (eingereicht bei DSK)

Schwalbenmöwe Foto 2

10. 8.8. 2005 1 ad. Rieselfelder Münster (Ulrich Eschmann lt. Holger Lauruschkus) (eingereicht bei DSK)

Es könnte noch der eine oder andere Nachweis hinzukommen, dazu müsste aber das Archiv der Avifaunistischen Kommission Nordrhein-Westfalen durchgesehen werden, das derzeit nicht zur Verfügung steht.

Die meisten Leser haben die Schwalbenmöwe sicherlich nicht auf ihrer NRW-Liste, aber schon im Herbst auf Helgoland oder nach Sturmperioden an der Nordseeküste gesehen. Für mich war das damals eine der Traumarten. Limikolen, Möwen und Seeschwalben zählten für mich ‚Dortmunder Jung’ von Anfang an zu den faszinierendsten Artengruppen. Ganz einfach, weil es davon letztlich vergleichsweise nur wenige Arten tief im Binnenland zu sehen gab. Die Nordsee war damals ein fernes begehrenswertes Territorium, das ich bis dahin nur einmal auf einer Klassenfahrt nach Juist erlebt hatte (wo ich zum Entsetzen der Lehrer einen tot gefundenen Eissturmvogel unterm Jugendherbergsbett deponiert hatte). Im „Frieling“ und dann in der damals heiß begehrten „Vogelbeobachterbibel Peterson“ waren die Seiten mit den Larolimikolen bald abgegriffen. Aber auf Tausenden Kilometern mit dem Fahrrad zu jeder Jahreszeit durch alle Senkungsgebiete des Ruhrgebietes, an Ruhr und Lippe, den Dülmener Fischteichen, den Ruhrstauseen, vom Haltener bis zum Möhnesee flog natürlich keine Schwalbenmöwe durchs Fernglas oder hockte schlapp auf irgendeinem Acker.

Die traf ich dann am Schreibtisch in meinem Kinderzimmer, neben den – meist weit weggeräumten - Schulbüchern. Heinz-Otto Rehage (damals Laborant in Dortmund, dann Leiter der Station Heiliges Meer, jetzt in Münster im Unruhestand), der mich prägend in die Vogelkunde eingewiesen hatte, meinte eines Tages, ich könnte doch in der „Arbeitsgemeinschaft zur Erstellung einer Avifauna von Westfalen“ mittun. Kurz darauf saß ich dann so mit 17 Jahren 1963 im Landesmuseum für Naturkunde zu Münster. Das war ja was, welche Ehre für einen Youngster. So viele bekannte Namen, die man hautnah erleben konnte.

Der große Peitzmeier und all die Spezialisten wie zum Beispiel Klaus Conrads (Spechte), Karl Demandt (Greife), Rolf Dircksen (Vogelzug), Gisela Eber (Phänologie), Wolfgang Erz (Populationsökologie, Verstädterung und auch einer meiner Lehrer aus DJN-Zeiten), Reiner Feldmann (auch keine Fledermaus blieb unbestimmt), Ludwig Franzisket (Direktor des Landesmuseums und früher  Beschreiber der einwandernden Türkentaube), Heinrich Gasow (Rundum-Orni-Publizist), Friedrich Goethe (Chef der „Vogelwarte Helgoland“ in Wilhelmshaven), Michael Harengerd (Chef aller „Schlammstecher“ nicht nur in Münsters Rieselfeldern), Horst Mester und Werner Prünte (frühe Ornithomanen der Extra- und Sonderklasse), Wilfried Przygodda (Vogelschutzwarte Essen), Fritz Runge (vor allem ein begnadeter Botaniker), Wilfried Stichmann (immer professoral wirkend, und der uns unter anderem mit Rastvorkommen des Mornellregenpfeifers überraschte), Paul Westerfrölke (auch so ein vielseitiger Beschreiber).

Na, und dann all die anderen liebenswerten, einfühlsamen, kompetenten und mithin knorrigen Hobby-Spezial-Ornitholgen vom Fachornithologen über den Großgrundbesitzer und Oberstudienrat bis zum Facharbeiter. Von diesen vergesse ich nicht Josef Brinkmann (Dortmund, hat mir auch jede Fahrradreparatur erklärt), Arno Falter (Münster), Ferdinand Freiherr von Fürstenberg (Eggeringhausen), Heinrich Gasow (Osnabrück), Franz Giller (Frechen), die immer (Literatur-)hilfsbereite Brunhild Gries vom Landesmuseum Münster, Werner Hinz (Castrop-Rauxel und DJN-Kumpan), Dieter Kating (Dortmund), Gerhard Knoblauch (Ibbenbüren), Karl-Heinz Kühnapfel (Kamen-Methler), Kurt Preywisch (Höxter), Anton Schücking (Hagen) und Joachim Zabel (Castrop-Rauxel).
Vielleicht ist dieser Namensrückblick auch für manchen älteren, aber auch für „nachgeborene“ Leser etwas interessant. Ein bißchen Erinnerung an die Wegbereiter unseres faszinierenden Hobbys im Lande kann jedenfalls nicht schaden.

Da war dann am 1. November 1964 im Museum eine Sitzung zur endgültigen Artbearbeitung für die Avifauna anberaumt, wie Heinz-Otto Rehage dankenswerterweise schnell in seinem Archiv nachvollziehen konnte. Weitgehend natürlich auf Binnenlandarten geprägt, hatte die versammelte Fachleuteschar eher geringeres Interesse an Möwen und Co. Als Peitzmeier nach Interessenten für Möwen fragte, hob ich schüchtern den Finger – und bekam den Zuschlag. Dazu Seeschwalben, ein paar Enten und auch zwei Singvögel, die noch zu vergeben waren.

Dann ging es über lange Monate und Jahre vor allem brieflich hin und her. Nimmermüde verteilten die Museums-Bibliothekarin Hedwig Giebing und Brunhild Gries Literaturdaten in die Runde. Alle Fauna-Mitarbeiter schickten ihre unveröffentlichten Daten an den jeweiligen Artbearbeiter. Es gab viele Nachfragen, viele klärende Antworten, oft auch Zweifel. Und langsam wuchs das Werk.

Fragen und Zweifel begleiteten später auch so manchen Schwalbenmöwenmelder im NRW-Binnenland, zumal meist keine Kamera für Belege am Mann war. So begegnete Christoph Sudfeldt am 17. August 1977 in den Rieselfeldern Münster als Zivildienstleistender plötzlich einer Möwe, „die ich vorher noch nie gesehen hatte“. Ein Bestimmungsbuch war nicht zur Hand, aber die Notizen im Feld nach 15 Minuten Beobachtung ließen beim Nachlesen der Literatur in der Station keinen Zweifel, dass da ein adultes Exemplar eingeflogen war. Eine sofortige Nachsuche blieb aber erfolglos. Am 8. August 2005 waren die Rieselfelder wieder der Schauplatz. Ulrich Eschmann aus Saerbeck, so berichtet Holger Lauruschkus, sah abends in der Beobachtungshütte des Stausees (E1) an der Coermühle bei kühlem herbstlichem Wetter eine einfliegende kleine „bunte“ Möwe. Nur zehn Meter entfernt landete sie auf dem Schlammfeld. Alle Kennzeichen wiesen eine adulte Schwalbenmöwe aus. Eschmann, der die Art vorher ebenfalls nie gesehen hatte, informierte dann die Station, aber kein geübter Beobachter war noch anwesend. Holger erfuhr erst zwei Tage später davon. Die Nachsuche war vergeblich. Die Avifaunistische Kommission muss nun über die Beobachtung entscheiden.

Die nun doch etwas zunehmenden Beobachtungen der so hübschen Schwalbenmöwe in NRW lassen vielleicht bald neue Nachweise erwarten. Zumal es sich andeutet, dass die Klimaänderungen für mehr Sturmlagen schon im Frühherbst sorgen. An der Küste jedenfalls taucht die Sabini nun alljährlich auf. Das mag allerdings auch mit der im Vergleich zu früher weit intensiveren Beobachtertätigkeit zusammenhängen.

Ich bedanke mich bei Martin Gottschling, Axel Halley, Jan Ole Kriegs und Heinz-Otto Rehage und Dr. Heiner Terlutter vom Westfälischen Museum für Naturkunde für freundliche Unterstützung.


Literatur:

Bolsmann, H. & B. Altum (1853): Nachträge und Notizen zu dem in der Naumannia II Bd. 3. Hft. p. 24 sqq. enthaltenen Verzeichniß der im Münsterlande vorkommenden Vögel. Naumannia 3, S. 449-453.

Bundesdeutscher Seltenheitenausschuss (1983): 2. Bericht des Bundesdeutschen Seltenheitenausschusses beim Dachverband Deutscher Avifaunisten über anerkannte Nachweise. Vogelwelt 104, S. 192-196.

Deutsche Seltenheitenkommission (2000): Seltene Vogelarten in Deutschland 1997, Limicola 14, S. 273-340.

Deutsche Seltenheitenkommission (2002): Seltene Vogelarten in Deutschland 1998. Limicola 16, S. 113-184.

Goethe, F. (1939): Ein Polarbewohner im Münsterland. Natur und Heimat 6, S. 9-10.

Mildenberger, H. (1982): Die Vögel des Rheinlandes, Bd. 1. Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969/1979): Avifauna von Westfalen (2. Unveränderte Auflage mit einem Anhang 1979). Münster

                           
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