Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Januar 2009

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Sie kam aus dem Norden: Die Sperbereule

Von Horst Michaelis

„Wär´ ich doch bloß Koch im Kaiserhof geworden!“ Dieser laute und häufige Stoßseufzer unseres Erdkunde–Lehrers „Papa Thiel“ ist mir bis heute im Ohr. Wirklich verstanden habe ich seinen Seufzer erst später, als ich im gleichen Beruf tätig war und oft das Gefühl hatte, im Gegensatz zum Handwerker in der Schule immer nur Unvollendetes zu sehen. Dass meine Arbeit aber zumindest in ornithologischer Hinsicht einmal belohnt wurde, erlebte ich 1983:

Mein ehemaliger Schüler Karl H., der 1963 zu den Mitgliedern meiner „Arbeitsgemeinschaft Schulwald“ in der Volksschule Ibbenbüren–Bockraden gezählt hatte, war mittlerweile als Fluglotse auf dem Flugplatz Münster–Osnabrück bei Greven tätig. Das hätte ich aber wohl kaum gewusst, wenn er mich nicht am 22. Oktober 1983 angerufen hätte: „Wir haben hier auf dem Flugplatz eine Eule, die sieht ganz anders aus als der Waldkauz, der damals bei uns im Schulwald gebrütet hat. Zusammen mit meinem Kollegen habe ich im Bestimmungsbuch nachgesehen. Wir glauben, dass es eine Sperbereule ist. Können Sie wohl mal nach Greven zu uns in den Tower kommen?“

Eine Sperbereule? Ich war wie elektrisiert und gleichzeitig skeptisch: Die gibt´s doch gar nicht bei uns. Sofort blätterte ich im GLUTZ, Band 9: „Brutgebiet boreale Nadelwaldzone (Taiga) von Norwegen bis zum Anadyr–Golf, Kamtschatka und Sachalin, mit Schwergewicht in der nördlichen Taiga“ und „Das Auftreten als unregelmäßiger Gast in Mitteleuropa ist durch mindestens 211 datierte Nachweise, davon 99 aus dem 20. Jahrhundert, belegt.“  Demnach könnte es vielleicht tatsächlich eine Sperbereule sein, dachte ich und startete von Mettingen in Richtung Greven, natürlich nicht ohne Fernglas und Bestimmungsbuch.

Vom Tower aus konnte man den – damals noch recht kleinen – Flugplatz gut überblicken. „Da hinten sitzt sie, auf dem Pfahl, jetzt schon bestimmt eine halbe Stunde lang.“ Die ziemlich große Eule bewegte sich kaum. Als sie den Kopf wandte, konnte ich deutlich das typisch grimmig wirkende Gesicht erkennen. Und als sie sich nach weiteren zehn Minuten in sperberähnlichem Flug dem Fuß des Towers näherte und ich sie wenig später am Boden aus nur zwanzig Metern Entfernung ausgiebig betrachten konnte, war ich hundertprozentig davon überzeugt, dass es eine Sperbereule war.

Foto 1-3

Fotos 4-5

Diese ornithologische Sternstunde durfte ich natürlich nicht für mich behalten! Ich teilte sie daher sofort voller Begeisterung einigen Mitgliedern unserer Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land (ANTL) und der OAG Rieselfelder Münster mit. In den folgenden Tagen und Wochen – so erfuhr ich später – reisten aus allen Himmelsrichtungen (auch aus dem Ausland) Vogelkenner an, um die Sperbereule zu beobachten, die freundlicherweise bis zum 8. März 1984 auf dem wühlmausreichen Flugplatzgelände weilte. Nach diesem Tag, so teilte mir mein ehemaliger Schüler, der Fluglotse Karl H., mit, wurde sie nicht mehr gesehen.

1983 wurden an der norwegischen Küste in einer Woche über 2000 Sperbereulen gezählt, die auf das offene Meer rausflogen (Pölking 1984). In Dänemark fand zu der Zeit der größte je registrierte Einflug von Sperbereulen statt: Insgesamt 510 Individuen wurden dort beobachtet (v. d. Berg & Bosman 1999, v. d. Berg 1984).

Ringleben (1986) führt aus Niedersachsen eine ganze Reihe von Nachweisen an, darunter auch einen vom 11. August 1957 bei Vinte rund 10 Kilometer westlich von Bramsche, nicht weit von der westfälischen Grenze entfernt. Aus dem „Invasionswinter 1983/84“ seien aber keine aus Niedersachsen gemeldet worden.

Aus Westfalen waren bis dahin 4 Nachweise von Sperbereulen bekannt (Peitzmeier 1969):
-    Eine wurde am 12.12.1826 bei Burgsteinfurt geschossen. Der Balg ist offenbar schon im 19. Jahrhundert verlorengegangen.
-    Vor 1842 (wahrscheinlich im Oktober 1841) wurde eine weitere Sperbereule auf einer Jagd bei Münster geschossen.
-    Der lippische Ornithologe Heinrich Schacht sah im Januar 1867 eine im Teutoburger Wald, „als bei strenger Kälte und tiefem Schnee Flüge von Seidenschwänzen im Walde erschienen, in einem alten Buschbestande“ (Rade & Landois 1886)
-    Etwa 1895 wurde eine bei einer Treibjagd bei Erpernburg (damaliger Kreis Büren) geschossen.

Foto 6

2007 wurde mit der Veröffentlichung des Buches „Das Große Torfmoor im Wandel der Zeiten“ von Ernst-Günter Bulk ein weiterer Nachweis bekannt: Am 16. Januar 1956 konnte Bulk eine im Torfmoor bei Lübbecke (Kreis Minden-Lübbecke) beobachten: „Diese etwa sperbergroße Eule mit einer hell bebänderten Unterseite und einem dem Falken ähnlichen Flug konnte ich auf eine geringe Distanz längere Zeit bei besten Lichtverhältnissen beobachten. Das erste Zusammentreffen … war völlig überraschend. Inmitten einer Fläche hochgewachsener teilweise überalterter Besenheide flog sie mit schnellen Flügelschlägen plötzlich vor mir hoch, um dann wenig später, mit einem leichten Flug dicht über dem Erdboden, von unten aufschwingend auf einen zwei Meter hohen abgeknickten Fichtenstamm aufzublocken.“

Der Landesteil Rheinland wartet offenbar noch auf seine erste Sperbereule.

Von der Grevener Flugplatz-Eule konnten 7 Gewölle aufgesammelt werden. Henning Vierhaus (Bad Sassendorf-Lohne) identifizierte daraus 8 Feldmäuse (Microtus arvalis) und einen Käferrest.

Ziemlich genau 25 Jahre nach der letzten Sperbereule in NRW wird es allerhöchste Zeit, dass eines Tages die Nachricht kommt, irgendwo zwischen Rhein und Weser sei wieder einer dieser schwarzweißen Jäger aufgetaucht. Die Vogelbeobachter würden sofort lossausen…


Literatur:

Bulk, E.-G. (2007): Das Große Torfmoor im Wandel der Zeiten. Lübbecke.

Glutz v. Blotzheim, U. & K.M. Bauer (1980): Handbuch der Vögel Mitteleuropas Bd. 9.

Michaelis, H. (1984): Eine Sperbereule (Surnia ulula) bei Greven (Westfalen). Charadrius 20: 179-181.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Abh. Landesmus. Naturkunde 31, Heft 3.

Pölking, F. (1984): Sperbereule (Surnia ulula) bei Greven/Westfalen. Ornithologische Mitteilungen 36: 162-163.

Rade, E. & H. Landois (1886): Die Vogelwelt Westfalens. Westfalens Tierleben in Wort und Bild Bd. 2. Münster.

Ringleben, H. (1986): Sperbereule. In: Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen – Tauben- bis Spechtvögel. Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen Heft 2.7 (Sonderreihe B). Hannover.

van den Berg, A.B. (1984): Invasie van Sperweruil in westelijk Europa in herfst van 1983. Dutch Birding 6: 23-25.

van den Berg, A.B. & C.A.W.Bosman (1999): Rare birds of the Netherlands. Utrecht.

Wolff, G. (1925): Die lippische Vogelwelt. Schötmar.


Anschrift des Verfassers:
Horst Michaelis
Berg up Sonn 23
49497 Mettingen