Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Februar 2009

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Farben wie der BVB: Nordrhein-Westfalens erste Zitronenstelze

Von Christopher Schmidt

Im Gegensatz zu den vorhergehenden Tagen ist es kalt am 22. April 1988, das Sitzen auf einem der Deiche, die einen Blick auf die Zuckerfabriksteiche von Lage ermöglichen, nicht angenehm. Dem warmen Südostwind und dem blauen Himmel der vergangenen 14 Tage sind ein Temperaturabfall auf etwa 10 Grad Celsius und ein leichter Westwind gefolgt.

Die Wärme von der Radtour in den Kreis Lippe staut sich noch angenehm unter der Jacke, als ich mit meinem Spektiv die Schlammflächen, Uferbereiche oder Wiesengelände der kleinen Teichlandschaft mustere. Wie so häufig genieße ich das entspannte Beobachten der Watvögel, heute in Gestalt von Dunklen Wasserläufern, Flussuferläufern, Bruchwasserläufern, einem weiblichen Seeregenpfeifer (!), einem Regenbrachvogel, die Schwärme ziehender oder rastender Ufer- und Rauchschwalben, die vielen Wiesenpieper und Schafstelzen. Letztere sind besonders faszinierend, weil die Gefiederfärbung doch viel verraten kann über die geografische Herkunft, und auch das Alter lässt sich bei einigen dieser Vögel auch auf große Distanz recht gut erkennen. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bevor die ersten nordischen Schafstelzen hier auftauchen, und genau nach diesen suche ich jetzt und hier. So wandert das Blickfeld des Spektivs von gelber Stelze zu gelber Stelze, die mal vollkommen frei auf der Schlammbank stehen, dann wieder im Gras verschwinden.

Plötzlich und ohne jede Vorwarnung, so als wäre es das Normalste auf der Welt, stochert sie völlig unbeteiligt im seichten Schlamm nach Insektenlarven, deren Lebensraum verrottende Rübenreste darstellen: Eine männliche Zitronenstelze (Moticilla citreola)! Vollkommen klar und doch unglaublich, ohne den Hauch von Zweifel, leicht zu bestimmen und leuchtend gelb!

Nein, das ist sie eben nicht! Sie ist schön gelb, aber nachdem die erste Begeisterung verflogen ist und die Schönheit der Art bewundert wurde, möchte ich doch auch hier genauer nachschauen: Der Kopf ist hellgelb, ebenso die Unterseite. Auf der Hinterseite des hellen Kopfes befinden sich dunkle Flecken, angeordnet wie der Kranz einer Halbglatze. Das schwarze Nackenband kontrastiert stark mit dem hellgrauen Rücken, die weißen Flügelbinden und Ränder der Schirmfedern leuchten. Die Handschwingen weisen einen bräunlichen Schimmer auf, was für einen vorjährigen Vogel spricht. Es macht Spaß, die Stelze lange zu beobachten: Wie kontrastreich sie wirkt, wenn sie sich auf einem abgestorbenen Rohrkolbenstengel ausruht und die weit im Hintergrund stehenden Pappeln ein verschwommenes Muster bilden, wie sich ihre Konturen hervorheben, wenn sie sich im Gegenlicht beobachten lässt, wie hell sie wirkt, hält sie sich neben einem Schafstelzen-Männchen auf.

So mache ich schnell eine Skizze, rufe aus dem nahe gelegenen Ort Hagen meinen Bruder in Herford an, der mit seiner Kameraausrüstung innerhalb der nächsten 45 Minuten die Zuckerfabriksteiche erreicht und einige Belegfotos machen kann. Gegen 20 Uhr verschwindet der seltene Gast zusammen mit einem Trupp Schafstelzen von dem Gelände.

Abbildung 1

Am darauf folgenden Tag lässt sich die Zitronenstelze schnell wieder finden: Bettina Beck, Claudia Imrecke, Martin Renner, Steffen Schmidt und Uwe Schürkamp kommen in den Genuss dieses Vogels, der gerne auf den offenen Flächen nach Nahrung sucht und nur zur Gefiederpflege die dichteren und geschützteren Randbereiche nutzt, teilweise auch die Zufahrtswege zu den einzelnen Parzellen. Auch an diesem Tag entstehen eine Reihe von Nachweisfotos für die erste Zitronenstelze Nordrhein-Westfalens. Sie ruft selten, bestenfalls bei Ortswechseln. Dann fällt auf, dass der Ruf schärfer ist als der der Wiesenschafstelzen.

 Fotos 1-3

Eckhard Möller hat Pech: Er kommt einen Tag später, am 24. April, doch die Zitronenstelze findet er nicht mehr.

Die Gefiedermerkmale – die hellgelbe Unterseite, der hellgraue Rücken – sprachen bei der damaligen Beobachtung dafür, dass es sich bei der beobachteten Zitronenstelze um ein Individuum handelte, das der Unterart werae zugeordnet werden kann. Lange Zeit galten citreola, werae und calcarata als klar von einander unterscheidbare Unterarten (Glutz v. Blotzheim & Bauer 1985). Mittlerweile werden von einigen Autoren nur noch die Unterarten citreola als Nominatform sowie calcarata unterschieden (Alström & Mild 2003). Letztere ist vor allem durch den nahezu schwarzen Rücken der Männchen von der Nominatform unterscheidbar. Die Form werae galt lange als die hellste der Unterarten/Formen, doch ist die Abgrenzung zu citreola in puncto Farbe nicht klar und eindeutig.

Zitronenstelzen brüten regelmäßig in Europa, von Polen an ostwärts mit sehr seltenen Brutversuchen weiter westwärts. So gab es beispielsweise 1996 ein Brutpaar in der Nähe von Greifswald. Durchzügler dagegen treten mittlerweile regelmäßig in Deutschland auf, wenngleich die Zahl nach wie vor äußerst gering ist. Die Hauptzugzeit während der Heimzugperiode liegt Ende April/Anfang Mai, während sich der Wegzug zwischen Mitte August bis Anfang Oktober erstreckt.

Die Zitronenstelze von Lage wurde vom damaligen Bundesdeutschen Seltenheitenausschuss anerkannt (BSA 2000) – der erste Nachweis für Nordrhein-Westfalen.

Seitdem sind erst sehr wenige weitere Zitronenstelzen in NRW beobachtet worden:
Am 21. April 1998 sahen Holger Schielzeth und Daniel Heinrich in den Rieselfeldern Münster ein Männchen. Die Meldung ist von der Deutschen Seltenheitenkommission (DSK) anerkannt worden (DSK 2002).
Nur wenig später am 4. Juni1998 fand Dietmar Ikemeyer im NSG Zwillbrocker Venn im Kreis Borken ebenfalls ein Männchen (ebenfalls von der DSK 2002 anerkannt).
Am 2. September 2005 wurden Hendrik Weindorf und Claus Sandke im NSG Königsbüscher Wäldchen auf dem Kalwes in Bochum  von einer adulten männlichen Zitronenstelze überrascht. Die Meldung ist von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt worden (Avifaunistische Kommission 2008) und liegt derzeit der DSK zur endgültigen Entscheidung vor.
Am 30. April 2006 freuten sich in den Rieselfeldern Münster Dirk Riedel, Jan Ole Kriegs, Hendrik Weindorf, Eckhard Möller, Holger Lauruschkus, Johannes Wahl und noch mehr Beobachter über eine männliche Zitronenstelze, die dann von der Avifaunistischen Kommission der NWO anerkannt (Avifaunistische Kommission 2007) und danach der DSK zur endgültigen Entscheidung vorgelegt wurde.

 Foto 4

Hoffentlich lässt die nächste Zitronenstelze die Beobachter in NRW nicht mehr allzu lange auf sich warten…


Literatur

Alström, P. & K. Mild (2003): Pipits and Wagtails. London.

Avifaunistische Kommission der NWO (2007): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006. Charadrius 43: 57-65.

Avifaunistische Kommission der NWO (2008): Seltene Vogelarten in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007. Charadrius 44: 49-66.

Barthel, P.H. & C. Schmidt (1990): Hinweise zur Bestimmung der Zitronenstelze Moticilla citreola. Limicola 4: 149-182.

Bundesdeutscher Seltenheitenausschuss (2000): Seltene Vogelarten in der Bundesrepublik Deutschland 1987 und 1988. Limicola 4: 183-212.

Deutsche Seltenheitenkommission (2002): Seltene Vogelarten in Deutschland 1998. Limicola 16: 113-184.

Glutz v. Blotzheim, U. N. & K. Bauer (1985): Handbuch der Vögel Mitteleuropas 10, Passeriformes 1. Teil: Moticillidae - Prunellidae. Wiesbaden.

Schmidt, C. (1990): Erster Nachweis der Zitronenstelze (Moticilla citreola) in Westfalen. Charadrius 26: 27-29.


Anschrift des Verfassers:

Christopher Schmidt
Redder 16
24306 Lebrade