Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
Februar 2007

pdf-Version








Hier geht es zu den älteren Beiträgen:

Archiv





Sie kommt aus Amerika: BONAPARTEMÖWE

Von Eckhard Möller & Armin Deutsch


Möwen waren seit Jahren das Thema, vor allem ihre Beine. Silberne Aluminium-, noch besser bunte Plastikringe – die waren das Ziel. Seit 1993 durchsuchte AD in jedem Winterhalbjahr in Münster am Aasee (Bade- und Putzplatz), in den Rieselfeldern und den benachbarten Industriegebieten (Schlafplatz) die Massen der weißen Vögel. Die große Menge waren zwei Arten, nämlich Lach- und Silbermöwen (letztere aber wesentlich unsteter). In erheblich geringerer Zahl flogen, standen und schwammen Herings-, Sturm- und sogenannte „Weißkopfmöwen“, die sich später als Mittelmeer- (Larus michahellis) und Steppenmöwen (L. cachinnans) erwiesen. Einzelne Schwarzkopf- (L. melanocephalus), Eis- und Polarmöwen (L. hyperboreus, L. glaucoides) bereicherten den ‚Speiseplan’.

Bemerkenswerte Ringablesungen erbrachten zum Beispiel Nachweise einer in Schottland geborenen Silbermöwe (im März in Münster), einer mindestens 20jährigen Lachmöwe oder einer K1-Steppenmöwe mit Moskauer Ring vom Asowschen Meer.


Der 19. März 1998 war ein schlechter Tag. Nach der Arbeit fuhr AD am späten Nachmittag  per Fahrrad zum Aasee. Keine Möwen auf dem Steg, wo sonst in der Regel die einzige Chance bestand, Ringe abzulesen. Rund 600 Lach- und 20 bis 30 Großmöwen schwammen auf dem Wasser. Was blieb anderes übrig, als mal nicht auf die Beine, sondern auf die Möwen zu schauen. Er entdeckte eine ‚Zwergmöwe’ – im März in Münster ein seltener Gast. Der kleine schwarze Schnabel verriet sie. Komisch war aber, dass sie eher wie eine kleine Lachmöwe mit dünnem schwarzem Schnabel aussah.

Ein Blitz durchzuckte ihn: „Das könnte auch eine Bonapartemöwe sein! Die Unterflügel sind wichtig!“ – Also rauf aufs Fahrrad und rüber auf die andere Seite des Sees. Die Möwe war jetzt schräg von vorne zu sehen. Ein kurzer Blick rechts und links: Natürlich kein weiterer Beobachter zu sehen! Bei weiteren Studien an der seltsamen Möwe durchs Spektiv geriet sie schwimmend in einen dichten Pulk von Lachmöwen, was ihr anscheinend gar nicht gefiel. Sie flog auf – da waren die Unterflügel: Alles weiß, bis auf ihre schwarzen Handschwingenspitzen!!!
Der erste Gedanke: Wahnsinn – das glaubt dir keiner…

Es wurde immer dämmeriger. Was tun? Anrufe von der nahegelegenen Pizzeria am Aasee lohnten nicht mehr. Dann wurde es dunkel. Die Albtraumsituation war da: Ein MEGA-Vogel, Dunkelheit, keine Fotos, keine Zeugen…


Abends von zu Hause war Andreas Buchheim der erste, der am Telefon von der Bonapartemöwe erfuhr. Er sagte zu, am nächsten Tag mit Alfons Pennekamp und Helge Seifert nachzuschauen. Auch weitere Birder in Münster wurden informiert. AD fuhr wieder nach der Arbeit gegen 16 Uhr zum Aasee, wo die ‚Helfer’ schon tätig waren. Andreas Buchheim entdeckte sie dann und pfiff plötzlich: Da war sie wieder – die Bonapartemöwe (Larus philadelphia). Der Stein, der AD vom Herzen fiel, war wahnsinnig groß. Sie kam sogar zum Putzen auf den Steg – besser geht’s nicht.

Abbildung 1


Foto 1

Die Bestimmung der Münsteraner Möwe war nicht besonders schwierig; man musste sie nur erst unter den vielen Lachmöwen finden. Ihr Gesamteindruck erinnerte eher an eine Zwergmöwe als an eine zu klein geratene Lachmöwe. Sie schwamm fast ständig mit eingezogenem Hals. Der zierliche Schnabel war gänzlich schwarz, der Ansatz des Unterschnabel wirkte leicht aufgehellt. An der Unterkante war kein auffallendes Gonys-Eck zu sehen. Ihre Augen waren dunkel, die Augenklammern setzen sich nur schwach weiß ab. Hinter dem Auge ein schwärzlicher gebogener Ohrfleck. Über dem Auge einige schwärzliche Prachtkleidfedern, die als Flecken auf weißem Grund erschienen. Der Nacken war auffallend hellgrau, das fiel bei bestimmten Blickwinkeln unter den weißnackigen Lachmöwen auf. Den gleichen Ton zeigten die Mantel-, Schulter-, alle sichtbaren Flügeldeck- und Schirmfedern. Brust, Kehle, Flanken, Unterschwanzdecken und Steuerfedern weiß.


Am zusammengelegten Flügel war die sichtbare Oberseite der Handschwingen schwarz bis auf mindestens drei kleine weiße Spitzenbereiche, wohl von H5, 6 und 7. Der Überstand ihrer Schwingen über das Steuerende war im Verhältnis kürzer gegenüber den Lachmöwen. Auffallend waren auf dem Steg ihre kurzen Beine, die in der Dämmerung hellrot mit einem fleischfarbenen Stich wirkten. Sie stand „eine Etage tiefer“ als die neben ihr stehenden Lachmöwen.

Beim Auffliegen wurde die Unterflügelzeichnung deutlich: Der gesamte sichtbare Unterflügel war milchig-grau, bis auf einen schmalen schwarzen Streifen, der von den schwarzen Handschwingenspitzen gebildet wurde. Der Bereich der äußeren Handschwingen hob sich dabei noch etwas ab, da er wie bei den Lachmöwen völlig weiß war. Ihr fehlte also das dunkle Handflügelfeld der Lachmöwen. Beim Abfliegen zum Schlafplatz mit den anderen Möwen fiel noch eine schnellere Flügelschlagfrequenz im Vergleich zu Lachmöwen auf.

Es war eine adulte Bonapartemöwe im Schlichtkleid zu Beginn der Mauser ins Prachtkleid, wie sie das Aquarell von Andreas Buchheim nach seiner Beobachtung am Aasee zeigt.


Am dritten Tag setzte ein kleiner, aber steter Strom von Beobachtern auch von weit her ein. Bis zum 28. März wurde die Möwe fast täglich gesehen. Dann war sie weg und wurde trotz intensiver Nachsuche auch in den Rieselfelder und in der Kläranlage von Münster nicht wiedergefunden.

Erst am 9. April glaubte Holger Schielzeth seinen Augen nicht zu trauen, als er auf Teich 22A der Münsteraner Rieselfelder eine Bonapartemöwe im Fast-Prachtkleid sah (Foto 2), die er auch fotografieren konnte. Es dürfte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der Vogel vom Aasee gewesen sein. Die Kleingefiedermauser am Kopf vom Schlichtkleid ins Prachtkleid dauert bei Lachmöwen nur rund drei Wochen; bei der kleineren Möwe aus Amerika wird das ähnlich sein.

Foto 2

Die Meldung der Münsteraner Bonapartemöwe ist von der Deutschen Seltenheiten-Kommission als erster Nachweis für Deutschland anerkannt worden (DSK 2002).
Seitdem ist erst eine weitere Beobachtung bekanntgeworden: Am 1. Mai 2001 entdeckten Felix Weiß (heute Konstanz) und Martin Schlorf (Hamburg) im Dithmarscher Speicherkoog eine Bonapartemöwe im zweiten Kalenderjahr, die an diesem und am folgenden Tag auch von weiteren Beobachtern bestaunt wurde. Sie ist über die schleswig-holsteinische Avifaunistische Kommission an die DSK gemeldet worden; von einer Entscheidung ist bis heute nichts bekannt.


Der Name der Möwe in Deutsch und Englisch und auch anderen Sprachen bezieht sich auf Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte, der 1803 in Paris als Neffe des großen Napoleon geboren wurde. Charles’ Vater Lucien, Bruder von Napoleon, versuchte während des Napoleonischen Krieges in Italien 1810 mit seiner Familie von Rom aus nach Amerika zu fliehen, wurde aber vor Sardinien von der britische Marine aufgebracht und nach England in eine Art Arrest transportiert. In Shropshire lernte der junge Charles dann die ersten Vögel, Insekten und Pflanzen kennen. Nach dem Frieden von 1814 kehrte die Familie nach Italien zurück. Charles lernte dort die wissenschaftliche Literatur von Europa kennen und baute eine umfangreiche naturgeschichtliche Sammlung auf. Zu der Zeit schoss er einen ihm unbekannten braungestreiften Singvogel, dessen Balg er dann an Temminck in Holland schickte. Dieser beschrieb ihn als neu für die Wissenschaft: Der Mariskensänger (Acrocephalus melanopogon). Als Neunzehnjähriger reiste er mit seiner Frau Zenaide nach Nordamerika. In nur drei Jahren dort wurde er einer der führenden Köpfe der Ornithologie. Ende 1826 kehrte die Familie wieder nach Europa zurück.

1815 hatte George Ord zum ersten Mal eine ‚Sterna Philadelphia’ beschrieben, die Bonaparte selbst dann 1826 ‚Larus capistratus’ nannte. 1831 wurde sie von Richardson und Swainson als ‚Larus Bonapartii’ bezeichnet; dieser Name ist zumindest in mehreren Sprachen erhalten geblieben.

Charles Bonaparte veröffentlichte zwischen 1832 und 1841 eine dreibändige ‚Iconografica della Fauna Italica’, die zu der Zeit als das beste und vollständigste Werk der Welt über die Wirbeltierfauna eines Landes galt, und arbeitete an einem ‚Conspectus Generum Avium’, einem Verzeichnis aller Vögel der Erde, dessen Fertigstellung er aber nicht mehr schaffte. Er starb am 29. Juli 1857.

Das Besondere an den Bonapartemöwen ist, dass sie in ihren nordamerikanischen Brutgebieten ihre Nester oft auf Bäumen bauen (Foto5). Sie fliegen in Schwärmen und bauen ihre Nester in einer Kolonie wie die Saatkrähen, sieben oder acht auf einem Baum, schrieb John Richardson schon im 19. Jahrhundert. Sie hätten auch die für Möwen sicher merkwürdige Angewohnheit, des öfteren auf der Spitze einer Fichte zu stehen.


Bonapartemöwen gehören zu der Gruppe der kleinen Möwen mit den im Prachtkleid dunklen Kapuzen. Sie erinnern in ihrer Struktur an Lachmöwen, sind aber kleiner, etwa zwischen dieser und einer Zwergmöwe. Ihr Schnabel ist schlank, wirkt zart und ist mit seiner schwarzen Farbe immer dunkler als die Beine – anders als bei Lachmöwen. Im Flug ist der von unten weiße äußere Handflügel auffällig, der nur eine schmale schwarze Kante zeigt, ganz anders als die dunkle innere Handschwinge der Lachmöwen. Das gilt auch schon für Vögel im ersten Winter.

Die Fotos aus Texas, aufgenommen am 15.04.2005, zeigen zwei adulte Bonapartemöwen
(Foto 3), die in ihrem Mauserzustand etwa der entsprechen, die Holger Schielzeth im April 1998 in den Münsteraner Rieselfeldern gesehen hat: Die schwarze Kapuze ist noch nicht voll entwickelt. Ihre auffallende Kurzbeinigkeit wird hier sehr deutlich. Der K2-Vogel (Foto 4) aus dem April 2005 verrät sein Alter unter anderem durch die braunen Schirmfedern. Der Kontrast zwischen Schnabel und Füßen kommt in dem Bild gut zum Ausdruck.

Foto 3

Foto 4

Foto 5

Zum Abschluss eine schöne Zukunftsaufgabe: Jetzt gilt es für die Möwen-Fans, Nordrhein-Westfalens erste Präriemöwe zu suchen (am besten im Herbst) oder die erste Dünnschnabelmöwe – am besten am Rhein im Mai…



Wir bedanken uns bei Andreas Buchheim, Martin Gottschling, Jan Ole Kriegs, Olaf Niepagenkämper, Holger Schielzeth, Frank-Ulrich Schmidt und Felix Weiß für ihre Unterstützung.


Literatur:

Beolens, B. & M. Watkins (2003): Whose Bird? Men and women commemorated in the common names of birds. London.

Deutsche Seltenheiten-Kommission (2002): Seltene Vogelarten in Deutschland 1998. Limicola 16, 113-184.

Grant, P.J. (1986): Gulls – a guide to identification. London.

Mearns, B. & R. Mearns (1988): Biographies For Birdwatchers – The Lives of Those Commemorated in Western Palearctic Bird Names. London.

Olsen, K.M. & H. Larsson (2003): Gulls of Europe, Asia and North America. London.

Sibley, D. (2000): The North American Bird Guide. New York.


Anschriften der Verfasser:
Eckhard Möller, Stiftskamp 57, 32049 Herford
Armin Deutsch, Bruchweg 2, 33739 Bielefeld-Jöllenbeck