Avifaunistische Kommission
der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft
(NWO)



Vogel des Monats
August 2009

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Der Rosenstar von Jakobwüllesheim

Von Daniel Buschmann


Ende der 1990er Jahre befand sich das binnenländische „Mornellfieber“ auf seinem Höhepunkt: Sowohl auf dem westfälischen Haarstrang als auch im Maifeld, einer Hochebene bei Mayen in Rheinland-Pfalz, hatten die lokalen Ornis herausgefunden, dass im Spätsommer auf den Feldern regelmäßig Mornellregenpfeifer rasten und das zum Teil in erstaunlich hoher Anzahl! Endlich musste man für eine seltene und attraktive Limikolenart nicht mehr an die Küsten fahren – nein, man brauchte nur die abgeernteten oder gegrubberten Felder in scheinbar unattraktiver Mittelgebirgsrandlage absuchen.    

Weite Feldlandschaften gibt es viele, so auch die Zülpicher Börde südwestlich von Köln. Einer der wenigen Vogelbeobachter, der diese auf den ersten Blick monotone und vogelarme Gegend schon vor Jahrzehnten in sein Herz geschlossen hat, ist Michael Kuhn aus Erftstadt-Lechenich. Ihn beschäftigte seinerzeit die Frage, ob nicht auch in seinem Hausrevier im Spätsommer regelmäßig Mornells auf den Feldern sitzen oder ob dieses Privileg den Kuppen und Höhenzügen des Haarstrangs und des Maifelds vorbehalten sein sollte. Also organisierte er für den 30. August 1998 eine großangelegte Suchaktion in der Zülpicher Börde. Verschiedene Teams sollten genau festgelegte Bereiche mit dem Auto abfahren und die Blicke immer wieder über die Felder schweifen lassen. Jürgen Forster und ich bekamen einen Bereich zwischen Vettweiß und Düren zugeteilt, ein uns bisher unbekanntes Gebiet. Lediglich von einem dort gelegenen Dorf mit dem merkwürdigen Namen Jakobwüllesheim hatte ich schon mal gehört, da die dortige imposante Doppelturmkirche das Vorbild für eine bekannte Modellbahnkirche darstellt. Noch ahnte ich nicht, dass wir uns unweit dieses sagenumwobenen Dorfes länger aufhalten würden… 

Der 30. August 1998 ist kein besonders sommerlicher Tag, aber für Vogelbeobachtungen dafür umso besser geeignet: Eine geschlossene Wolkendecke verhindert Gegenlicht und ein leichter stetiger Wind sorgt dafür, dass die Temperaturen angenehm bleiben. Voller Erwartung beginnen wir unsere Tour über die gepflasterten Feldwege der westlichen Zülpicher Börde. Sollte es uns tatsächlich gelingen, einen Mornell zu entdecken? Zumindest für mich wäre er auch eine neue Art. Schon nach kurzer Zeit hören wir einen Limikolenruf aus der Luft. War das etwa ein Mornell – oder doch eher ein Goldregenpfeifer? Nur ruhig bleiben, wir gestehen uns ein, dass der unentdeckt gebliebene Vogel sich ehrlich gesagt mehr nach Goldi anhörte. Aber was ist das? Eine männliche Wiesenweihe gaukelt nicht weit von uns in aller Ruhe über ein Feld. Sehr schön, sieht man ja nicht alle Tage. Jürgen und ich beobachten sie im Spektiv bzw. Fernglas - und plötzlich schießt unter ihr ein kleiner Vogel aus der Vegetation hervor und fliegt direkt auf uns zu. Das ist ja eine Wachtel! Wahnsinn! Die Wiesenweihe beschleunigt ihren Flug, hat aber keine Chance, den schnellen Hühnervogel zu erwischen. So kann das weitergehen. Wann sieht man schon mal eine Wachtel? Und dann auch noch auf eine so spektakuläre Weise!

Gegen Mittag – von Mornells bisher nichts zu sehen – erreichen wir eine 10 kV-Stromleitung, welche Jakobwüllesheim mit dem östlich gelegenen Nachbardorf Kelz verbindet. Auf dieser Stromleitung sitzen etwa 500 Stare, auf dem Boden und in einer nahen Hecke befinden sich ca. 500 weitere Stare. Jürgen hält an und spricht einen ebenso denkwürdigen wie scheinbar wahnsinnigen Satz: „Wer weiß, vielleicht ist da ja ein Rosenstar drunter.“ Ich zweifele an Jürgens Verstand, aber er meint seine Aussage ernst und beginnt, die Stare auf der Leitung durchzumustern. Schon nach wenigen Sekunden wird er sehr unruhig und berichtet von einem ungewöhnlich hellen Star, der zusätzlich einen hellen Schnabel mit dunkler Spitze aufweise. Ich kann von der Beifahrerseite aus nicht viel sehen und reiche Jürgen mein Spektiv, das er auf die heruntergekurbelte Fensterscheibe der Fahrertür auflegt. Jetzt kann er erkennen, dass der seltsame Star ein hellbeiges Kleingefieder aufweist, das deutlich zum dunkleren Großgefieder kontrastiert. Auffällig am Großgefieder seien die hellen Federränder, berichtet Jürgen weiter. Aha, denke ich ebenso aufgeregt wie frustriert, denn ich kann vom Beifahrersitz aus den K1-Rosenstar-verdächtigen Vogel gar nicht sehen. Jürgen setzt den Wagen etwas zurück, wir steigen aus und bauen unsere Spektive auf. Als wir damit fertig sind, beschließen die Stare auf der Leitung, dass es nun Zeit ist, Nahrung zu suchen und fliegen auf ein abgeerntetes Feld, wo sie in etwa 150 Meter Entfernung zwischen den Stoppeln kaum noch zu sehen sind. Sch…...!

Zum Glück fliegen die Vögel nach kurzer Zeit wieder näher an unseren Standpunkt heran, so dass jetzt eine reale Chance besteht, den vermutlichen Rosenstar auf dem Feld wiederzufinden. Nach etwa einer halben Stunde findet Jürgen den Vogel tatsächlich wieder und jetzt sehe ich ihn auch zum ersten Mal – für ein bis zwei Sekunden, wobei mir das „freundlich“ wirkende Gesicht ohne dunklen Zügel auffällt. Leider geht ausgerechnet jetzt der ganze Starenschwarm in die Lüfte, um sich kurz danach wieder neu gemischt auf dem Feld niederzulassen. 15 Minuten später entdecke ich den hellen Star wieder, der sich natürlich direkt nach seiner Entdeckung in die Lüfte erhebt, wobei mir aber immerhin beim Abfliegen der für den jungen Rosenstar typische helle Bürzel auffällt.

In den nächsten zwei Stunden geht das etwas unbefriedigende Spiel weiter: Der Starenschwarm ist sehr mobil, der Rosenstar – mittlerweile sind wir uns der Artdiagnose sicher – ist allenfalls für Sekunden zu sehen. Immerhin gelingt es auch Jürgen zwischendurch, den diagnostischen hellen Bürzel zu entdecken. Zwischenzeitlich fahre ich mit dem Auto nach Jakobwüllesheim, um von einer Telefonzelle aus (so umständlich war das vor elf Jahren noch) Michael Kuhn zu informieren. Der ist glücklicherweise schon zu Hause, will jedoch keineswegs direkt ins Auto springen. Sein „Alibi“ ist ebenso einfach wie unglaublich: Er hat bei seiner Mornellsuche zwar nicht die erhofften Regenpfeifer, wohl aber eine Schwalbenmöwe auf einem Acker bei Zülpich-Wichterich, etwa 12 km südöstlich von Jakobwüllesheim, gefunden. Jetzt will er auf einen befreundeten Fotografen warten, damit dieser mit ihm zusammen nach Wichterich fährt und Belegfotos von der Schwalbenmöwe anfertigt. Anschließend würde er eventuell noch nach Jakobwüllesheim fahren, so dass wir am Ortsrand einen Treffpunkt ausmachen, an dem ich später eine Zeit lang warten solle.

Am späten Nachmittag fahre ich zum Treffpunkt, Michael Kuhn kommt nicht – das Fotografieren der Schwalbenmöwe hat sich doch noch etwas hingezogen, wie ich später erfahre. Dafür sehe ich auf einmal unseren Starenschwarm, der sich nun am Ostrand von Jakobwüllesheim aufhält. Es gelingt mir, den Rosenstar mit dem Fernglas kurz auf der Stromleitung und im Flug zu beobachten. Mittlerweile hat Jürgen zu Fuß den Standort des Autos erreicht und berichtet mir, dass er während meiner Abwesenheit den Rosenstar noch einmal sehr schön auf der Stromleitung sitzend habe studieren können. Alle von uns bisher erkannten Merkmale hätten sich bestätigen lassen.

Fotos eines dj. Rosenstars

Fotos eines adulten Rosenstars

Der Starenschwarm war mittlerweile weiter nach Westen gewandert und wir können ihn in der Feldflur südlich von Jakobwüllesheim nicht wiederfinden. Wir sind beide glücklich und erschöpft, auch wenn ich den Rosenstar gerne noch etwas besser gesehen hätte. Aber einer musste ja irgendwann zur Telefonzelle fahren, das Handy sollte erst Jahre später in mein Leben treten…

Auf dem Rückweg suchen wir natürlich noch auf den Feldern bei Wichterich nach der Schwalbenmöwe, die ich mir erst einmal im Bestimmungsbuch ansehen muss, um mir zu vergegenwärtigen, welche von diesen komischen kleinen Möwen uns da womöglich bald ins Blickfeld rücken würde. Die Mühe bleibt umsonst, wir sehen zwar viele Möwen, die kleine (vermutliche) Amerikanerin ist leider nicht darunter oder zumindest finden wir sie nicht.

Am nächsten Tag entdeckt Michael Kuhn im Bereich Jakobwüllesheim nur noch einen kleinen Starentrupp mit 60 Vögeln – ohne hell gefärbte Auffälligkeiten. Auch die Schwalbenmöwe, die ich ebenfalls am 31. August zusammen mit Andreas Skibbe und seiner Familie auf den Feldern bei Wichterich suche, bleibt verschwunden.

Die Mornellfahndung war übrigens nicht sehr erfolgreich. Falls ich mich richtig erinnere, wurde – alle Teams zusammengenommen – nur ein Individuum an dem Tag in der Zülpicher Börde festgestellt. Es ist wohl so, dass Mornellregenpfeifer tatsächlich kuppige Feldlandschaften als Rasthabitat bevorzugen, so dass der Haarstrang und das Maifeld natürliche Standortvorteile gegenüber der weitgehend flachen Börde aufweisen. Mittlerweile sind weitere regelmäßig besetzte Mornellrastplätze auf exponierten Hochplateaus im Saargau, in Unterfranken und in Thüringen entdeckt worden. Aber das Flachland muss sich dennoch nicht verstecken: Der denkwürdige 30. August 1998 hat mit dem Doppelknaller „Rosenstar – Schwalbenmöwe“ gezeigt, dass die ausgeräumte Börde besonders im Spätsommer immer eine Reise wert ist und so manches Feuchtgebiet in Bezug auf ornithologische Attraktivität abhängen kann.  

Die Beobachtung des Rosenstars in der Zülpicher Börde wurde von der Deutschen Seltenheitenkommission anerkannt (DSK 2002).

Aus Nordrhein-Westfalen sind erst sehr wenige Nachweise von Rosenstaren bekanntgeworden, wobei nicht ganz eindeutig bleibt, welcher der bisher älteste ist: Entweder der Vogel, der „in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts“ in Rheinbach-Peppenhoven (Rhein-Sieg-Kreis) getötet worden ist und dessen Balg sich im Museum Alexander Koenig in Bonn befinden soll (Mildenberger 1984) – oder die gleich 5 Rosenstare, die am 30. Mai 1875 bei Detmold (damals Fürstentum Lippe) aus einem Starenschwarm geschossen worden sein sollen (Peitzmeier 1969). Nur einer davon soll präpariert worden sein; was aus ihm geworden ist, ist nicht bekannt. In der Sammlung des Lippischen Landesmuseums in Detmold befindet sich heute kein Rosenstar.

Weitere Angaben aus den rheinischen und westfälischen Avifaunen (Mildenberger 1984, Peitzmeier 1969) sind die folgenden:

-    Am 19. August 1876 wurden 2 bei Haus Hülshoff bei Münster geschossen.
-    Im Mai 1877 wurden ebenfalls zwei am Sittarder Hof bei Elsdorf-Berrendorf (Rhein-Erft-Kreis) geschossen.
-    Anfang Juni 1895 wurde aus einem Trupp von „30 bis 40“ Rosenstaren bei Langenfeld (Kreis Mettmann) einer geschossen.
-    Um 1930 wurde einer auf dem Hauptfriedhof in Dortmund beobachtet (nach John. In A. Johns Arbeit „Die Vogelwelt von Groß-Dortmund“ von 1962 ist aber kein Rosenstar aufgeführt.)
-    Am 8. September 1965 wurde in Detmold (Kreis Lippe) einer tot in einem Garten gefunden.
-    Am 12. September 1965 wurden zwei Rosenstare in Vahlhausen bei Detmold beobachtet.

Der Rosenstar von Jakobwüllesheim vom 30. August 1998 war dann also der erste nach langer Pause. Hoffentlich dauert es nicht mehr allzu lange, bis wieder mal einer dieser Gäste aus dem Südosten in Nordrhein-Westfalen gemeldet wird. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht…

Ich danke Eckhard Möller für die Ergänzungen zu den bisher in Nordrhein-Westfalen gelungenen Nachweisen des Rosenstars.


Literatur:

Deutsche Seltenheitenkommission (2002): Seltene Vogelarten in Deutschland 1998. Limicola 16: 113-184.

John, A. (1962): Die Vogelwelt von Groß-Dortmund. Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster in Westfalen 24, Heft 3: 72-97.

Mildenberger, H. (1984): Die Vögel des Rheinlandes, Band 2. Düsseldorf.

Peitzmeier, J. (1969): Avifauna von Westfalen. Münster.



Anschrift des Verfassers:

Daniel Buschmann
Maßmannstraße 13
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